Freiwillige der hinduistischen Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) trainieren den Stockkampf.
Reportage

Weltspiegel aus Indien Stoßtrupp der radikalen Hindus

Stand: 14.12.2019 13:35 Uhr

Seit der Wiederwahl des indischen Pemiers Modi gewinnen die Hindu-Nationalisten an Macht. Vor allem die Organisation RSS ist berüchtigt. Kritiker sehen das Land auf dem Weg zu einem hinduistischen Gottesstaat.

Jedes Jahr am Gründungstag des RSS maschieren kurz nach Sonnenaufgang vier Millionen Männer in ganz Indien. Die massive Präsenz auf Indiens Straßen ist eine Machtdemonstration. Stolz nennt sich der RSS die "größte Freiwilligenorganisation der Welt" ("Rashtriya Swayamsevak Sangh"). Der Zweck: paramilitärische Übungen und Strammstehen für das Vaterland.  

J Nandakumar, Chef-Ideologe des RSS, beschreibt: "Der RSS will der Gesellschaft Disziplin einimpfen. Für diese Disziplin braucht es körperliche Ertüchtigung und Marschieren. All das ist notwendig."

Hinduismus als Staatsideologie

"Ewige Treue der göttlichen Hindu-Nation“, schwören sie der safranfarbenen Hindu-Flagge. Es geht dem RSS nicht nur um Fitness. Er ist der Stoßtrupp der regierenden Hindu-Nationalisten. Premierminister Modi war lange Zeit RSS-Funktionär. Für die Organisation ist der Hinduismus viel mehr als eine Religion unter anderen. Sie sehen ihn als übergeordnete Staatsideologie, der alle Inder folgen müssen.

"Unsere Organisation sieht das so: Jeder einzelne, der hier lebt und der Indien als seine Heimat betrachtet, sollte seine Wurzeln anerkennen. Und das bedeutet eben, dass alle hier Hindus sind - unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Egal, ob sie Thomas, Peter oder Mohamed heißen", betont J Nandakumar.

Andere Religionen sollten sich unterordnen, vor allem Muslime. Dabei haben auch sie seit Jahrhunderten in Indien ihre Spuren hinterlassen, wie das weltberühmte Taj Mahal, um das seit einigen Jahren eine absurde Debatte geführt wird. Hardliner vom RSS würden das Grabmal gerne abreißen und die jahrhundertelange muslimische Herrschaft ganz ungeschehen machen.

Surendra Jain von der RSS-Auslandsorganisation sagt: "Genauso wie die Deutschen die Berliner Mauer eingerissen haben, muss dieses Gebäude zurückverwandelt werden in einen Hindutempel. Erst dann kann es ein Symbol der Liebe sein."

Nationalistische Gedanken

Hindu-Schlägertrupps verprügeln Muslime - seitdem die Hindu-Fundamentalisten 2014 an die Macht kamen, häufen sich solche Vorfälle. Mehr als 40 Menschen wurden gelyncht, weil sie angeblich Kühe schlachteten. Für Hindus ist dies ein Frevel. Öffentlich distanziert sich der RSS von solchen Taten. Doch liberale Stimmen wie der Oppositionspolitiker Shashi Tharoor werfen der Organisation vor, nicht nur wegen der Uniformen an faschistische Schlägertrupps zu erinnern.

Shashi Tharoor, Abgeordneter der Kongresspartei, erklärt:


"Der Hindu-Nationalismus stammt aus genau derselben Zeit wie der Faschismus und die Nazibewegung - den 1920er Jahren. Sie gehört zur selben Gruppe der völkischen und rassistischen Ideologien. Der Ideologe, der den Begriff Hindu-Nationalismus prägte, bezeichnete Hindus oft als Rasse. Das ist Quatsch. Hindus sind keine Rasse, Hindu sind eine Religionsgruppe. Aber diese Art zu denken, aus den 1920er Jahren, durchdringt bis heute das Gedankengut des RSS.

Schwerpunkt Jugendarbeit

Einer der Schwerpunkte der Organisation ist Jugendarbeit. Die Schüler sollen neben dem normalen Lehrstoff vor allem lernen, was die Hindu-Nationalisten in Indien als Leitkultur ansehen. "Wir müssen unsere Kultur bewahren. Die christliche Kultur zum Beispiel kommt aus dem Ausland. Und deshalb müssen wir den Kindern unsere Werte vermitteln. Sie sollen unsere Helden verehren und die kulturellen Werte dieses Landes respektieren", betont Brijumohan Mandal, RSS-Schulbeauftragter.

Zu diesen Werten gehört auch, dass nur die Jungs zum Fahnenappell antreten. Der 15-jährige Ankit Takur geht in die neunte Klasse. Der Eid der ewigen Treue für die heilige Hindu-Nation geht ihm fließend über die Lippen. Als Internatsschüler wächst er im geschlossenen Weltbild des RSS auf. "Für den RSS zählt nicht das Individuum, denn das kann sich verändern. Wir grüßen die Hindu-Fahne, die behält ihre Farbe und verrät uns nicht", sagt Ankit.

Wie die meisten seiner Mitschüler gehört Ankit zu den "Tribals", Stammesmitglieder der Ureinwohner Indiens. Seine Eltern können nicht lesen oder schreiben. Er ist froh, dass der RSS ihm eine Ausbildung und Zukunft bietet: "Keiner hier im Internat hat die Garantie, einen Regierungsjob zu bekommen. Aber wenn das nicht klappt, werden die meisten bestimmt Funktionäre des RSS. Wenn es andere Jobs gäbe, würde das vielleicht anders aussehen."

Zurück bei der Geburtstagsparade des RSS in Nagpur. Der Vorsitzende lobt seinen alten Weggefährten Premierminister Modi dafür, dass der RSS die Ideologie in Regierungspolitik umsetze. Dazu gehört etwa die Abschaffung von Sonderrechten für Muslime in Kaschmir. Der RSS sieht Indien auf einem guten Weg in Richtung Hindustan - einem hinduistischen Staat.

Der Abgeordnete Tharoor kritisiert: "Es schmerzt, zu sehen, dass der Hinduismus auf das Weltbild von britischen Hooligans reduziert wird. Denn das ist es ja: Mein Team muss gewinnen. Und ich haue dir auf den Kopf, wenn du ein anderes Team unterstützt. Das ist es, was der RSS und sein Hindu-Nationalisten wollen. Das ist ein Verrat an der Toleranz des echten Hinduismus."

Doch der RSS hat derzeit Zulauf. Ein "neues Indien" will er schaffen mit einer überlegenen Hindu-Mehrheit, bereit, die Minderheit einzuschüchtern. Viele Inder befürchten, dass er auch bereit wäre, loszuschlagen, wenn der Befehl käme.

Sehen Sie diesen Beitrag am Sonntag im "Weltspiegel", ab 19:20 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 15. Dezember 2019 um 19:20 Uhr.