Krieg im Jemen Wo Kinder zu Geistern werden
Im Jemen herrscht seit Jahren Krieg. Doch nicht die Kämpfe sind das schlimmste - es ist der Hunger, unter dem die Menschen leiden. Am stärksten betroffen sind die Schwächsten - die Kinder.
Von Georg Schwarte, ARD-Studio New York
David Beasley kennt die Zahlen. Alle hier im Sicherheitsrat kennen sie: Zwölf bis 18 Millionen Menschen im Jemen am Rande des Hungers. Sie essen Gras oder Blätter. Aber Beasley, der Direktor des Welternährungsprogramms, der gerade dort war, in diesem sterbenden Land, er saß im Sicherheitsrat und sagt, es gehe nicht um Zahlen, es seien Menschen, sie hätten Namen.
Unterernährte Kinder
So wie Mohammed. Beasley sah ihn vor zwei Tagen im Krankenhaus von Sanaa, einer einst stolzen Hauptstadt. Mohammed, acht Monate alt. Chronisch unterernährt. 3,3 Kilo schwer, deutlich weniger als das, was ein Kleinkind in diesem Alter wiegen sollte. Seine Eltern fuhren dreihundert Kilometer zum einzigen Krankenhaus, das überhaupt irgendwie helfen konnte.
Im UN-Sicherheitsrat herrscht in diesem Moment Totenstille. Beasley schaut in die Runde. "Haut und Knochen" , sagt er. "Sie alle kennen die Bilder aus den Nachrichten. Mohammed war auch nur Haut und Knochen. Das sind keine Bilder von Einzelfällen. Das ist die Realität im ganzen Land."
Beasley schilderte eindrücklich seine Erlebnisse im Jemen.
Beasley zögert - und fügt an: "Ich sage, er war Haut und Knochen. Mohammed ist gestern gestorben."
Jahrelanges Sterben
Seit Jahren herrscht im Jemen Bürgerkrieg, es ist ein Land vergessen von der Welt. Saudi-Arabien bombt aus der Luft gegen die Huthi-Rebellen. Die wiederum töten am Boden. Und es sterben Mütter, Kinder, Babys. Viele von ihnen sterben nicht durch Gewalt, sondern durch Hunger.
Beasley war gerade da und er ersparte dem Sicherheitsrat, in dem die ersten mit den Tränen kämpften, gar nichts. Es sei schwer, durch ein solches Krankenhaus zu gehen. Und Zimmer für Zimmer für Zimmer diese kleinen Menschen vor den eigenen Augen sterben zu sehen. Beasley, der selbst Vater ist, erzählt, in einem Bett habe ein kleines Kind gelegen. Die Fußsohlen schauten aus der Decke hervor. Er habe gedacht, er kitzele den Jungen, nur um ein Lachen zu hören, vielleicht ein Lächeln zu sehen: "Aber es gab kein Lachen. Es war, als würde man einen Geist kitzeln."
Im Sicherheitsrat schwiegen sie. So laut, als lauschten dort alle, um doch irgendwo im untergehenden Jemen ein Kinderlachen hören zu können.
"Sie sterben"
Kein Lachen, kein Lächeln. Selbst das Weinen sei leise. Sie alle seien krank, schwach. "Sie sterben", sagt der Direktor des Welternährungsprogramms. Der Chefarzt habe ihm gesagt, es kämen jeden Tag 50 neue Fälle. Sie hätten aber nur Platz für 20. "Und was machen sie mit den anderen?" fragte Beasley den Arzt. Der habe geantwortet: "Wir schicken sie zum Sterben nach Hause."
Am kommenden Montag will Großbritannien dem Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vorlegen, der eine Waffenruhe im Jemen sichern soll. Bis dahin stirbt das Land weiter - zuerst die Kinder. Der Jemen bleibt auch am Ende dieses Jahres die größte von Menschen gemachte Katastrophe der Welt.