Krieg gegen die Ukraine Kiew wieder unter Beschuss
Kiews Bürgermeister Klitschko hat einen erneuten Beschuss der ukrainischen Hauptstadt gemeldet. Laut russischer Seite war eine Panzerfabrik das Ziel. Klitschko warnte Geflüchtete davor, in die Stadt zurückzukehren.
Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist erneut von russischer Seite beschossen worden. Im Stadtteil Darnyzja habe es mehrere Explosionen gegeben, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko auf dem Nachrichtenkanal Telegram mit. Das Viertel liegt im Südosten der Millionenstadt. Bei dem Angriff wurde demnach mindestens ein Mensch getötet, mehrere Menschen seien mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden.
Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den neuerlichen Beschuss Kiews. Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow sagte, dabei seien Produktionsanlagen einer Panzerfabrik zerstört worden. Ein AFP-Reporter berichtete von Rauch, der über einer Rüstungsfabrik zu sehen sei. Das Gelände wurde demnach von zahlreichen Polizisten und Soldaten abgeriegelt.
Vergeltung für gesunkenes russisches Kriegsschiff?
Bereits gestern hatten russische Truppen einen Rüstungskomplex nahe Kiew angegriffen, in dem laut der Website des staatlichen Rüstungskonzerns Ukroboronprom "Neptun"-Raketen hergestellt wurden. Der inzwischen gesunkene Raketenkreuzer "Moskwa", das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, war laut einem Sprecher der ukrainischen Armee am Donnerstag von Raketen des Typs "Neptun" getroffen worden. Moskau bestätigte diese Angaben nicht und sprach lediglich von Explosionen und Feuer an Bord.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Die russischen Angriffe auf die Region Kiew hatten seit Ende März abgenommen. Moskau kündigte damals an, seine Offensive auf den Osten der Ukraine konzentrieren zu wollen. Am Freitag nun drohte der Kreml jedoch, seine Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt wieder zu verstärken. Zuvor hatte er die Ukraine beschuldigt, russische Ortschaften nahe der Grenze zu bombardieren. Die Regierung in Kiew wertet die neuen russischen Angriffe in der Hauptstadt-Region als Vergeltungsversuch für die Zerstörung der "Moskwa".
Klitschko warnt Rückkehrwillige
Angesichts der sich offenbar wieder zuspitzenden Lage in Kiew appellierte Bürgermeister Klitschko an die Bevölkerung, den Luftalarm der Behörden nicht zu ignorieren. In der ukrainischen Hauptstadt gibt es mehrfach am Tag Luftalarm. Weil inzwischen auch Menschen, die vor den Angriffen geflüchtet waren, wieder nach Kiew zurückkehren, forderte Klitschko, dies zu unterlassen und an sicheren Orten zu bleiben.
Beobachter im Land berichten von einer generellen Zunahme an Raketenangriffen. Nach Angaben von ARD-Reporter Oliver Mayer, der zurzeit aus Dnipro im Südosten des Landes berichtet, gab es Explosionen in Lwiw, Dnipro und Olexandrija - Städte, die weiter im Westen der Ukraine liegen. Aber auch aus dem Osten und Süden des Landes werden weitere Bombardierungen gemeldet. Nach amtlichen Angaben wurde bei einem Angriff auf Charkiw mindestens ein Mensch getötet, 18 Menschen wurden verletzt.
Russische Offensive im Osten erwartet
Im Osten geht die Ukraine von einer baldigen russischen Offensive aus. Nach Angaben des Gouverneurs des Gebiets Luhansk hat Moskau dort Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Zudem seien Hunderte Einheiten Technik in die Region transportiert worden, sagte Gouverneur Serhij Hajda. "Sie haben schon alles für einen Durchbruch bereit."
Seiner Einschätzung nach warteten die russischen Truppen nur noch auf besseres Wetter, um dann zeitgleich in den Gebieten Luhansk und Donezk ihre Angriffe zu starten. In beiden Regionen soll nach Wetter-Vorhersagen voraussichtlich Mitte kommender Woche der Regen aufhören.
Neue Versuche für Fluchtkorridore
Die Lage der von russischen Truppen umzingelten Hafenstadt Mariupol erörterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Militär- und Geheimdienstchefs. "Die Details können jetzt nicht öffentlich gemacht werden, aber wir tun alles, was wir können, um unsere Leute zur retten", sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache an die Nation. Große Teile der strategisch wichtigen Stadt liegen nach wochenlangen Kämpfen in Trümmern.
Laut Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk soll ein weiterer Versuch gestartet werden, verbliebene Bewohner per Fluchtkorridor in Sicherheit zu bringen. In Privatfahrzeugen sollen sie Mariupol in Richtung Saporischschja verlassen.
Weitere Korridore seien in der Region Luhansk eingerichtet worden, mit vorläufigem Ziel Bachmut. Auch aus der schwer zerstörten Stadt Sjewjerodonezk sollten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Die Korridore könnten aber nur funktionieren, wenn der Beschuss seitens der russischen Besatzer eingestellt werde, schrieb Wereschtschuk im Nachrichtenkanal Telegram. Die Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig vor, die Flucht von Zivilisten über solche Korridore zu sabotieren.
Kiew: Hunderte Zivilisten in russischer Gefangenschaft
Nach Angaben der Regierung in Kiew befinden sich derzeit etwa 700 ukrainische Soldaten sowie Hunderte Zivilisten in russischer Gefangenschaft. "Sie haben mehr als 1000 Personen geschnappt", sagte Vize-Regierungschefin Wereschtschuk im ukrainischen Fernsehen. Darunter seien auch etwa 500 Frauen. Die Ukraine ihrerseits habe etwa 700 russische Soldaten gefangen genommen.
Wereschtschuk forderte Russland auf, die Zivilisten bedingungslos freizulassen. Seit Beginn des Kriegs vor mehr als sieben Wochen haben beide Seiten mehrfach schon Gefangene ausgetauscht. Die genauen Zahlen, wie viele Menschen derzeit festgehalten werden, sind unklar.
Russischen Medien zufolge nahmen allein die Separatisten im ostukrainischen Gebiet Donezk mehr als 3000 ukrainische Soldaten gefangen. In der belagerten Hafenstadt Mariupol sollen sich mehr als 1000 Marine-Infanteristen ergeben haben. Die Ukraine streitet das ab.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.