Westerwelle in Istanbul Wie wahrscheinlich ist ein EU-Beitritt der Türkei?
Schon vor seinem Eintreffen in der Türkei stellte Außenminister Westerwelle klar: Das Land ist nicht bereit für einen EU-Beitritt. Heute spricht er darüber mit seinem Amtskollegen Davotoglu. Dieser hat jedoch noch die gegenteilige Botschaft in den Ohren - vom britischen Premier Cameron.
Von Katrin Brand, WDR-Hörfunkstudio Brüssel
Groß, arm, rätselhaft: Diese drei Wörter beschreiben, wie die Türkei von den meisten Staaten der Europäischen Union wahrgenommen wird. Flächenmäßig ist die Türkei größer als Frankreich, von der Einwohnerzahl her fast so groß wie Deutschland, vom Pro-Kopf-Einkommen her ärmer als Rumänien. Über den dritten Punkt hingegen, das Fremde, die Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis wird in der EU kaum offen gesprochen.
Deutschland und Frankreich wollen keinen schnellen Beitritt
Und doch schwingt es mit, wenn Angela Merkel einmal mehr sagt: "Ich glaube, dass eine enge Anbindung der muslimischen Welt, insbesondere der Türkei an die europäische Union in unser aller Interesse ist. Auf welche Art und Weise das erfolgt - ob durch eine privilegierte Partnerschaft, eine Vollmitgliedschaft - darüber ringen wir noch", so die Kanzlerin zum Beispiel voriges Jahr in Prag, nachdem der neue US-Präsident Obama den Beitritt der Türkei angemahnt hatte.
Beim französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy klingt das direkter. "Ich glaube nicht, dass die Türkei ihren Platz in der EU hat. Das ist eine Frage, über die ich meine Meinung nicht geändert habe", sagte er.
Merkel und Sarkozy können aber nichts daran ändern, dass die EU ganz offiziell über die Mitgliedschaft verhandelt. Schließlich haben die Regierungschefs im Jahr 2004 einstimmig beschlossen, die Gespräche zu eröffnen. Zehn bis 15 Jahre nach Beginn der Verhandlungen soll allerdings geprüft werden, wie weit die Türkei gekommen ist, und ob die EU ihre Aufnahme wirklich verkraften kann.
Wollen die Briten die EU schwächen?
Nach letzterem sieht es im Moment gar nicht aus. Denn nachdem sich die EU in den vergangenen fünf Jahren um zwölf neue Mitglieder vergrößert hat, ist eine gewisse "Erweiterungsmüdigkeit" eingetreten. Die nun 27 Staaten aufeinander abzustimmen, kostet soviel Kraft und Geld, dass sich kaum jemand die Aufnahme neuer großer Länder vorstellen kann. Bis auf David Cameron vielleicht, den neuen britischen Regierungschef. "Wenn ich darüber nachdenke, was die Türkei als NATO-Verbündeter dafür getan hat, Europa zu verteidigen, und was die Türkei im Moment in Afghanistan tut, macht es mich wütend, dass ihr Weg in die EU so behindert werden kann, wie es geschehen ist", sagte Cameron gestern vor Geschäftsleuten in Ankara. Er werde der bestmögliche Anwalt der Türkei in Sachen EU-Beitritt sein, versprach der britische Regierungschef.
Dabei geht es den Briten gar nicht unbedingt um die Türkei an sich, sondern darum, die EU als politische Institution zu schwächen. Je größer das Gebilde, je unterschiedlicher die Mitglieder, desto loser der Zusammenhalt, so lautet die Rechnung, die von den britischen Euroskeptikern ganz offen aufgemacht wird.
Kroatien und Island werden Türkei voraussichtlich überholen
Doch im Moment spielt die Zeit für die Beitrittsgegner. Die Türkei muss in den Verhandlungen nachweisen, dass sie sich an das Rechts- und Wertesystem der EU anpassen kann, und dieser Prozess kommt nur sehr schleppend voran. So schleppend, dass sie wohl von Kroatien und Island als Nummer 28 und 29 überholt werden dürfte. Alle übrigen Bewerber haben ebenfalls noch einen sehr weiten Weg zu gehen. Die Gespräche mit Mazedonien stehen wegen eines Streits mit Griechenland still, Albanien, Montenegro und Serbien habe gerade erst einen Antrag gestellt.