Ankara drängt auf konkreten Termin Türkei will EU-Beitritt bis 2023
Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei und dem harten Durchgreifen der Regierung ist das Verhältnis mit der EU auf einen neuen Tiefpunkt angelangt. Trotzdem dringt Ankara gerade jetzt auf einen konkreten Termin für den EU-Beitritt.
Ungeachtet der schweren Krise im Land nach dem Putschversuch und der jüngsten Spannungen mit der EU will die Türkei binnen sechs Jahren Mitglied der Europäischen Union werden. "Die türkische Regierung will der EU vor dem Jahr 2023 beitreten", sagte der türkische EU-Botschafter Selim Yenel der "Welt".
Beitritt am liebsten zum Staatsjubiläum
Er verwies darauf, dass die türkische Republik im Jahr 2023 hundert Jahre alt werde. "Es wäre die Krönung für mein Land, dann Mitglied der Europäischen Union zu sein", sagte der türkische Diplomat. Sein Land strebe eine "vollwertige Mitgliedschaft" an, sagte Yenel. "Für uns wäre es langfristig nicht akzeptabel, nicht zur EU zu gehören. Der EU-Beitritt ist sehr wichtig für uns."
Der türkische EU-Botschafter Selim Yenel
Eine EU-Mitgliedschaft würde nach Einschätzung Yenels die Standards in der Türkei in allen Bereichen erhöhen, also in politischen und wirtschaftlichen Fragen, aber auch beim Verbraucher- und Gesundheitsschutz.
"Weder beitrittsbereit noch beitrittsfähig"
Brüssel zeigte sich hingegen zurückhaltend. "Die Verhandlungen mit der Türkei werden sich über viele Jahre hinziehen", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der "Tiroler Tageszeitung". Derzeit sei das Land weder beitrittsbereit noch beitrittsfähig.
Juncker warnte erneut davor, die Beitrittsgespräche mit der Türkei einzustellen. "Wir befinden uns ja nicht nur mit Herrn Erdogan und seiner Regierung im Gespräch, sondern streben eine Gesamtlösung an, die dem türkischen Volk von Nutzen sein wird."
EU-Kommissionspräsident Juncker sieht die Türkei noch lange nicht in der Union.
Eine Kommissionssprecherin in Brüssel erklärte: "Wir werden jetzt nicht über ein genaues Beitrittsdatum spekulieren." Die Verhandlungen basierten auf den Leistungen der Türkei, fügte sie hinzu. Zu den Anforderungen gehörten die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte.
Die 2005 gestarteten Verhandlungen sind in 35 Kapitel unterteilt. Sie strukturieren den Beitrittsprozess nach Themen wie Justiz und Grundrechte, Energie und Verbraucherschutz. Geöffnet worden sind bislang 16 Kapitel, provisorisch abgeschlossen wurde nur eines.
Nach dem gescheiterten Militärputsch und der harten Reaktion der türkischen Führung gibt es in der EU Zweifel, insbesondere was die Eignung der Türkei betrifft, wenn es um Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Grundrechte geht.
Bundesregierung sieht noch langen Weg für die Türkei
Auch die Bundesregierung wollte keine Prognose zur Dauer der Beitrittsverhandlungen abgeben. "Ich bin nicht in der Lage, jetzt zeitliche Einschätzungen zu geben, wie dieser Prozess von Beitrittsverhandlungen weiterläuft", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Türkei und die EU befänden sich in einem "ergebnisoffenen Prozess". Aus Sicht der Bundesregierung ist es derzeit undenkbar, neue Verhandlungskapitel zu eröffnen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht dennoch "eine besondere Verbindung" zwischen Deutschland und der Türkei. "Das wird auch so bleiben", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Was das deutsch-türkische Verhältnis besonders macht, sind die über drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben."
Zuletzt hatte es zwischen Berlin und Ankara heftige Verstimmungen gegeben, etwa weil das rigorose Vorgehen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gegen tatsächliche und vermeintliche Unterstützer des gescheiterten Putschversuchs auf viel Kritik in Deutschland stößt.
Zudem war eine vertrauliche Analyse aus dem Bundesinnenministerium bekanntgeworden, wonach die Türkei unter Erdogan islamistische und als terroristisch eingestufte Organisationen unterstützt.