EU-Parlament berät Transparenzregeln "Wir haben nichts zu verbergen"
Der Korruptionsskandal um die damalige Vizepräsidentin Kaili hat das Vertrauen in das EU-Parlament massiv beschädigt. Mit neuen Regeln will man das jetzt wieder zurückgewinnen. Doch es gibt Sorgen um das freie Mandat.
Es ging um Geldkoffer, Geheimdienste und gekaufte Reden: Der Korruptionsskandal "Katar-Gate" hat seit Dezember vergangenen Jahres den Ruf und die Integrität des EU-Parlaments schwer beschädigt. Seitdem geht es für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier um Schadensbegrenzung und darum, die Demokratie künftig besser gegen Korruption zu schützen.
Dazu brauche es auch neue Regeln, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, Gaby Bischoff: "Transparenz ist eine Voraussetzung für die Demokratie. Deshalb fordern viele Bürgerinnen und Bürger sie auch zurecht stärker ein. Mein Bericht zur Änderung der Geschäftsordnung schlägt neue Regeln vor, und es betrifft die Art und Weise, wie wir in diesem Haus arbeiten."
Nebentätigkeiten und Interessenkonflikte nennen
Die Berliner Abgeordnete arbeitete in den vergangenen sechs Monaten federführend daran mit, den groben 14-Punkte-Plan von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola für mehr Transparenz und Integrität im EU-Parlament in konkrete Regeln zu überführen.
Eine lautet: "Wir werden vollkommene Transparenz schaffen, wenn es um Nebentätigkeiten geht, wenn Sie mehr als 5.000 Euro im Jahr dazuverdienen. Wir sind der Meinung, dass Europaabgeordnete zu sein kein Nebenjob ist. Und wer eben anderweitig noch einer Vergütung nachgeht, das auch zukünftig transparent offenlegen muss - und zwar in der Gesamtsumme pro Jahr."
Dazu soll die Definition für "Interessenkonflikt" gestärkt werden. Zu finanziellen Interessen kämen private Interessen - etwa in Bezug auf familiäre Verbindungen. Gerade wenn ein Parlamentarier eine bestimmte Funktion im Parlament anstrebt, also zum Beispiel Vizepräsidentin oder Ausschussvorsitzender werden will, müssen vorab verbindliche Erklärungen zu Interessenkonflikten angegeben werden.
"Das freie Mandat ist sehr, sehr wichtig"
Der legislative Fußabdruck soll mehr Konturen bekommen: eine Dokumentation, wie Interessenvertreter an Gesetzgebungsprozessen beteiligt waren. Das soll künftig bei einer vollständigen Dokumentation von Terminen der Parlamentarier beginnen.
Der EVP-Fraktion geht dies zu weit. Sie hat mehrere Änderungsanträge für die heutige Abstimmung eingebracht. Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, sagt: "Uns ist das freie Mandat sehr, sehr wichtig. Also, dass der Bürger ein Anspruch hat, dass sein Abgeordneter auch frei arbeiten kann. Und hier haben wir die Sorge, dass uns im Moment Einschränkungen auferlegt werden, die den Fall Kaili überhaupt nicht verhindert hätten."
Sind dann Regimekritiker in Gefahr?
Die neuen Regeln seien eine konkrete Antwort auf den Fall rund um Eva Kaili, die ehemalige Parlaments-Vizepräsidentin und ehemaliges Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion, entgegnet die SPD-Abgeordnete Bischoff: "Wir haben Schwachstellen genau analysiert. Treffen mit Vertretern von Drittstaaten musste man vorher nicht transparent machen. Das wird man jetzt tun müssen. Das schließt wirklich eine Schwachstelle."
Doch Casparys Bedenken gehen darüber hinaus: "Wenn wir künftig zum Beispiel sensible Treffen mit Menschenrechtsaktivisten und Regimekritikern der Parlamentspräsidentin melden müssen, ist unsere Sorge, dass es in elektronischen Systemen erfasst wird. Sie wissen, wie lange Russland zum Beispiel im Deutschen Bundestag reingehackt war. Wenn wir Abgeordneten unsere Quellen offenlegen müssen, laufen wir da in große Schwierigkeiten." Viele Abgeordnete wünschten sich mehr Beratungszeit für so grundlegende Regeländerungen, Caspary.
Abgeordneter erinnert an verlorenes Vertrauen
Vielen anderen geht es hingegen nicht schnell und weit genug. "Wir haben nichts zu verbergen, und wir müssen viel Vertrauen zurückgewinnen. Deshalb ist es gut, dass wir zeigen, welche Art von Nebenverdienst wir erzielen, welche Art von Treffen wir abhalten und wie wir unser Geld ausgeben, weil wir nichts zu verbergen haben", sagt etwa Damian Boeselager, Abgeordneter der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. "Transparenz steht nicht im Widerspruch zur Freiheit des Mandats. Denn warum sollten Menschen Gesetze befolgen, wenn sie dem Prozess, in dem sie gemacht werden, nicht vertrauen?"
Zumindest aber wirft die Parlamentsdiskussion mehr Licht darauf, mit welcher Ambition die gut 700 Parlamentarier einem der dunkelsten Kapitel ihres Hauses mehr Transparenz folgen lassen wollen.