Islamisten aus Tadschikistan Eine hausgemachte Gefahr
Russland gibt vor, in Syrien islamische Terrorgruppen zu bekämpfen. In der Tat gibt es islamische Extremisten in und vor den Toren Russlands, so in Tadschikistan. Das liegt weniger an der Nähe zu Afghanistan als an hausgemachten Problemen.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Viele Menschen in der Ex-Sowjetrepublik Tadschikistan haben ein sorgenvolles Leben. Im Moment richtet sich ihr Blick einmal mehr nach Süden. Dort hinter der Grenze liegt Afghanistan. Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans, ist keine 250 Kilometer von Kundus entfernt.
In Kundus marschierten Anfang der Woche die Taliban ein. Sie liefern sich Kämpfe mit der afghanischen Armee. Mehrere Tausend Afghanen flohen Berichten zufolge an die Grenze zu Tadschikistan. Daneben gewinnt die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) an Einfluss in Afghanistan, wie die UNO gerade berichtete: In immer mehr Provinzen fänden sie Anhänger, auch mit Geld gekauft.
Afghanistan und Tadschikistan verbindet eine 1360 Kilometer lange Grenze, die teils an Flussufern, teils durchs Gebirge verläuft. Geschützt wird sie auch von russischen Sicherheitskräften. Etwa 7000 sollen es sein, Tendenz steigend. Russland beansprucht Tadschikistan wie ganz Zentralasien als sein privilegiertes Einflussgebiet, gewissermaßen als Sicherheitszone vor der eigenen Grenze.
Keine Perspektive für die Jugend
Doch ist das muslimisch geprägte Tadschikistan selbst ein Unsicherheitsfaktor. Zwar blieb das Land nach dem Ende eines Bürgerkrieges 1997 weitgehend stabil. Präsident Emomali Rahmon scheint seitdem unangefochten zu regieren, auch dank Unterstützung Russlands.
Aber unter der autoritären und von Korruption geprägten Regierungsweise blieben politische und wirtschaftliche Probleme des Landes ungelöst oder verschärften sich noch. Dies schränkt die Perspektiven für die jungen Leute ein, die die Mehrheit im Land stellen.
52 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. Seit 1960 stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich von zwei Millionen auf inzwischen mehr als acht Millionen, obwohl nach dem Ende der Sowjetunion die russische Bevölkerung und die gesamte Elite das Land verließ.
Der Staat ist den Bedürfnissen der jungen Bevölkerung nicht gewachsen, so jedenfalls der Eindruck, wenn man sich mit Studenten unterhält. Ilhom, der an der Russisch-Tadschikischen Universität in Duschanbe studiert hat, beklagt wie viele seiner Studienkollegen, die Ausbildung sei schlecht. Für gute Noten müsse man die Lehrer bezahlen. Auch mit Abschluss hätten nur jene eine Perspektive im Land, deren Verwandte über gute Beziehungen verfügen.
Staatliche Einrichtungen und die Gesellschaft zwängen die jungen Menschen in ein enges Korsett aus Verhaltensregeln, um die Kontrolle über sie zu wahren. Am Eingangstor der Universität warten Wächter in Milizuniform und Springerstiefeln, die die Studenten auf ihre Kleidung kontrollieren. Diese darf weder zu westlich-modern noch zu traditionell-islamisch sein: Vollbart und Blue Jeans sind den Studenten verboten. Studentinnen dürfen kein Kopftuch tragen, aber auch keine High Heels oder Miniröcke.
Von der Polizei und Nazis in Russland verfolgt
Wer kann, verlässt Tadschikistan. Obwohl viele junge Menschen in Tadschikistan von Europa oder Amerika träumen, landen die meisten zum Arbeiten in Russland. Mit ihren Überweisungen halten sie ihre Familien und damit letztlich den Staat am Leben.
Auch Ilhom, der eigentlich Politiker werden möchte, ging im Sommer nach Russland zum Arbeiten. Mit einem halblegalen Arbeits- und Aufenthaltsstatus versuchte er Geld zu verdienen und lebte dabei in ständiger Angst vor der Polizei und vor Nazis, wie er aus Russland schrieb. Mit anderen Tadschiken kaufte er Chinesen Gemüse ab und verkaufte es dann auf Märkten weiter. Inzwischen begab er sich, auch um Geld zu sparen, auf einen abenteuerlichen Weg im Zug und zu Fuß zurück nach Tadschikistan.
In Russland rekrutiert
Andere der als "Gastarbeiter" und "Schwarze" geschmähten Menschen aus dem Süden Russlands und den südlichen Ex-Sowjetrepubliken radikalisieren sich in Russland. Angesichts von Perspektivlosigkeit lassen sie sich als Kämpfer für den "Islamischen Staat" zum Kämpfen in Syrien und Irak anwerben, wie Beobachter und Experten berichten, so Andrea Schmitz von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie schreibt in einer Studie, die meisten der Dschihadisten aus Zentralasien würden in Russland rekrutiert.
Aus Tadschikistan sollen mehrere hundert Männer in Syrien und Irak kämpfen. Im August 2014 wurde ein tadschikischer Kämpfer zum Emir des "Islamischen Staates" in der syrischen Provinz Raqqa ernannt. Eine unbekannte Zahl junger Leute lässt sich zudem in Pakistan als Kämpfer ausbilden.
Für Aufsehen sorgte der Fall des von den USA trainierten Chefs der Spezialkräfte in Tadschikistan, General Gulmurad Khalimow. Nachdem er im April verschwunden war, tauchte im Mai ein Video auf Youtube von ihm auf. Er erklärte nicht nur seine Mitgliedschaft im IS, sondern kündigte auch an, den Dschihad nach Russland und in die USA zu tragen.
Anfang September dann unternahm der ehemalige Vizeverteidigungsminister Abduchalim Nasarsoda mit Verbündeten einen Angriff auf ein Polizeirevier nahe der Hauptstadt Duschanbe. Es dauerte Tage, bis die Sicherkräfte die Aufständischen unter Kontrolle hatten. Beobachter interpretieren diesen Putschversuch als Teil eines Verteilungskampfes im Machtappparat Tadschikistans.
Präsident Rahmon hingegen sprach von einem Terroranschlag und verglich die Angreifer mit der Terrormiliz IS. Die einzige islamische Partei im Land, die Partei der Islamischen Wiedergeburt, durfte schon vorher nicht mehr arbeiten, auch wenn sie moderat auftrat und sich von Extremisten distanzierte, ebenso wie nun von Nasarsoda. Vor Jahren schon wurden die muslimischen Organisationen einer staatlichen Kontrolle unterstellt, unabhängige Religiöse damit in die Illegalität gedrängt.
Auch die russische Führung macht islamische Extremisten für die Instabilität in Tadschikistan verantwortlich, und nicht die Politik von Präsident Rahmon, schrieb Alexey Malaschenko vom Carnegie Center in Moskau kürzlich. Russland wolle einen Vorteil daraus schlagen, um ihre militärische Position in Tadschikistan und ganz Zentralasien zu stärken.
Junge Leute wie Ilhom sind zwar besorgt angesichts der Entwicklungen im nahe gelegenen Afghanistan. Viel mehr beschäftigt den 23-Jährigen aber die Frage, welche Zukunft er angesichts der eingeschränkten politischen Freiheiten und der sich noch verschlechternden wirtschaftlichen Lage im ohnehin armen Tadschikistan hat. Dass er sich seinen Wunsch erfüllen kann, Politiker einer islamischen Partei zu werden, bezweifelt er angesichts der Entwicklungen in den vergangenen Wochen. Inzwischen denkt er darüber nach, wie er nach Europa gelangen kann.