Tel Aviv nach Irans Angriff "Wir dürfen keine Schwäche zeigen"
In Tel Aviv bemühen sich die Menschen nach dem Raketenangriff des Iran um demonstrative Gelassenheit. Mit der Bedrohung haben sie leben gelernt. Viele glauben, dass nun ein harter Gegenschlag folgen muss.
Es ist Nachmittag in Tel Aviv, im Ausgehviertel Florentin sitzen die Menschen in Cafés und genießen die Sonne auf Bänken unter Hibiskusblüten. Einige eilen mit Einkaufstüten durch die von knallbunten Graffitis gesäumten Gassen. Noch ein paar letzte Lebensmittel oder Blumen besorgen, für das zweitägige Neujahrsfest mit der Familie.
Dabei hatte es am Dienstagabend in Israel noch massiven Beschuss aus dem Iran gegeben, mit mehr als 180 Raketen. Es gab einen Toten und mehrere Verletzte. Fast gleichzeitig kamen bei einem Terroranschlag in Jaffa im Süden von Tel Aviv mehrere Menschen ums Leben.
Er habe eines der Opfer gekannt, sagt Itay Yelin, ein breitschultriger Mann mit stoppligem Bart und weißem Shirt: eine junge Mutter, mit der er seit Jahren beim Crossfit trainiert habe. Ihre Beerdigung sei eben gewesen, sagt er. Der Ort des Anschlags war nur zehn Minuten entfernt. Er selbst habe sich mit Nachbarn im Schutzraum eingeschlossen und befürchtet, es könnten noch mehr Terroristen kommen. "Ich weiß gar nicht, wie ich mich fühlen soll. Wir sind ja seit dem 7. Oktober, seit einem Jahr im Schock stecken geblieben", sagt er. Es sei auch nicht das erste Mal, dass er gute Freunde beerdigt habe, fügt Itay schulterzuckend hinzu. Er werde jetzt auf dem Dach mit der Familie Neujahr feiern und versuchen, eine schöne Zeit zu haben.
"Mister Security" unter Druck
Israels Premier Benjamin Netanyahu hat für den iranischen Angriff bereits Vergeltung angekündigt. Seit dem 7. Oktober hat er in der Bevölkerung massive Kritik erfahren. Weil unter dem einstigen "Mister Security", als der sich Netanyahu gern inszenierte, das Massaker überhaupt erst möglich war und viele ihm nun vorwerfen, einen Deal zur Freilassung der Geiseln in Gaza zu torpedieren. Aber auch, weil viele Israelis das Vorgehen der Armee im Norden als nicht entschieden genug empfanden.
Nun, nach den jüngsten Erfolgen gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon, verzeichnet Netanyahus Likud-Partei wieder steigende Umfragewerte.
In den Straßen von Florentin ist die Frage eines Gegenangriffs auf den Iran für viele nur noch die nach dem Wann und Wo. Viele rechnen mit einem Schlag nach den Feiertagen: auf militärische Anlagen etwa oder Ölfelder, aus denen das iranische Regime wichtige Einnahmen gewinnt. Sogar ein Schlag gegen die Atomanlagen sei denkbar, sagt die Militäranalystin Miri Eisin im Gespräch mit der ARD: "Es wird kein allgemeiner Angriff, sondern einer auf Ziele, die für den Iran von Bedeutung sind." Ein Schlag also, auf den wahrscheinlich wiederum eine Antwort des Iran folgen würde.
Ruf nach Härte, Vertrauen in die eigene Stärke
Gleichzeitig geht im Libanon und im Norden Israels die Konfrontation mit der vom Iran unterstützten Terrororganisation Hisbollah weiter. Auch in Gaza sind die Kämpfe nicht am Ende. Doch während die internationale Gemeinschaft sich um einen großen Krieg in der Region sorgt, scheint in Tel Aviv kaum jemand eine Deeskalation für möglich zu halten. Im Gegenteil: Viele scheinen überzeugt, dass nur ein harter Schlag gegen den Iran für Ruhe in der Region sorgen kann.
"Es müssen Köpfe rollen. Wir dürfen keine Schwäche zeigen", sagt Idan Teller, ein junger Mann mit Vollbart und zurückgebundenem Haar, der seine kleine Tochter auf dem Arm trägt. Eine andere Frau beim Bäcker meint: "Einmal richtig zuschlagen und es beenden. Es braucht eine harte Reaktion für Frieden in unserem Land." Ob sie Angst habe vor neuen Raketensalven aus dem Iran in der Folge? "Ich weiß, dass unsere Armee auf uns aufpasst", sagt sie.
"Wir sind das gewohnt"
Überhaupt versichern viele Israelis fast schon demonstrativ, dass der Beschuss ihnen kaum Sorge bereitet. Israel sei schon immer von Feinden umgeben gewesen, Bedrohung seien sie gewöhnt. Sie verließen sich auf das Abwehrsystem und folgten einfach den Anweisungen des Heimatschutzkommandos. "Nervös macht uns das nicht mehr, wir gehen einfach in den Schutzraum", sagt der junge Vater. Ein paar Meter weiter in einer Bar sagt ein anderer ernüchtert, dass das eben die Realität sei, in der sie lebten. "Ich kann mich nicht erinnern, dass es je anders war. Es macht mich traurig. Aber wir sind das eben gewohnt."
Die Israelis in den Straßen bemühen sich um Gelassenheit, auch wenn ihr Land seit fast einem Jahr im Krieg ist. Um Alltag im Ausnahmezustand, so gut es eben geht. Eine junge Frau im grünen Kleid erzählt, wie sie während des Alarms sogar eine Hochzeit gefeiert hätten. "Es war eine sehr schöne Feier". Ihr Hund streift ihr um die Beine, sie blickt nach unten. Dann sagt sie: "Dieses Chaos muss doch irgendwann aufhören. Man kann so einfach nicht leben."