Fragen und Antworten

Ermittlungen zu Anschlägen von Paris Was wir nach zwei Tagen wissen

Stand: 15.11.2015 15:24 Uhr

Eine Spur nach den Attentaten von Paris führt nach Belgien, eine weitere in einen Pariser Vorort. Von den getöteten Terroristen ist bislang nur einer identifiziert. Was ist zwei Tage nach den Anschlägen bekannt? tagesschau.de gibt einen Überblick.

Wie viele Opfer gibt es?

Bei der Terrorserie in Paris sind nach offiziellen Angaben 129 Menschen getötet worden - 89 allein im Konzertsaal Bataclan. Es wird allerdings befürchtet, dass diese Zahl noch steigt, denn von den Verletzten schweben noch viele in Lebensgefahr. Inzwischen ist auch klar, dass mindestens ein Deutscher unter den Opfer war. Das teilte das Auswärtige Amt am Vormittag mit. Nach Angaben der französischen Behörden sind bislang 103 der 129 Opfer identifiziert.

Was ist über die Attentäter bekannt?

Für die Ermittler steht fest, dass die Terroristen in drei gut koordinierten Gruppen vorgegangen sind. Sieben Terroristen seien tot, sagte Staatsanwalt François Molins am Samstagabend. Er korrigierte damit frühere Aussagen, wonach es acht tote Terroristen gebe. Nach bisherigen Erkenntnissen sprengten sich drei Selbstmordattentäter in der Nähe des "Stade de France" in die Luft, drei weitere starben im Bataclan. Der siebte Terrorist zündete seine Sprengstoffweste auf dem Boulevard Voltaire.

Inzwischen verdichten sich die Hinweise, dass es noch weitere Attentäter gab, denen die Flucht gelungen ist - dafür sprechen alleine schon die Zahlen: Es gab insgesamt sechs Tatorte, an denen laut Staatsanwaltschaft drei Gruppen von Attentätern unterwegs waren. Bei einer dieser "Gruppen" wurde aber nur ein einzelner toter Terrorist gefunden. Zudem wurde in einem Vorort von Paris ein schwarzer Seat gefunden. Laut Medienberichten sollen in dem Wagen Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre gefunden worden sein. Solche Gewehre kamen auch bei den Attentaten zum Einsatz. Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass dieser Seat von den Terroristen am Freitag bei dem Angriff auf zwei Lokale verwendet wurde. Sollte sich dies bestätigen, müssten Beteiligte oder Komplizen das Auto vom Tatort weggefahren haben.

Einer der getöteten Terroristen konnte anhand seines Fingerabdrucks als Franzose identifiziert werden: Es handelt sich um einen 1985 im Süden von Paris geborenen Mann, der in den vergangenen Jahren acht Mal wegen "gewöhnlicher" Straftaten verurteilt worden und den Behörden wegen seiner Radikalisierung aufgefallen war. Er war einer der Männer, die den Konzertsaal Bataclan angegriffen hatten. Sein Vater und sein Bruder wurden laut der Nachrichtenagentur AFP in Polizeigewahrsam genommen. Die Zeitung "Le Monde" berichtet, Ismaël Omar M. sei "sehr wahrscheinlich" im Winter 2013/2014 einige Monate in Syrien gewesen.

Unter Berufung auf einen Ordner vom "Stade de France" und einen Polizisten berichtete das "Wall Street Journal", dass mindestens ein Attentäter ein Ticket für das Spiel Frankreich gegen Deutschland hatte. Demnach sei etwa 15 Minuten nach Anpfiff am Stadioneingang bei dem Mann eine Sprengstoffweste entdeckt worden. Beim Versuch zu entkommen, habe er sich in die Luft gesprengt.

Bei ihm oder einem anderen Attentäter, der sich vor dem "Stade de France" in die Luft gesprengt hat, wurde ein syrischer Pass gefunden. Experten weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass der Pass gestohlen, gefälscht oder gekauft sein könnte. Der Eigentümer des Passes reiste am 3. Oktober über die griechische Insel Leros zunächst in die EU ein. Er beantragte später in Serbien Asyl, wie die serbische Polizei mitteilt. Die Agentur Reuters berichtet aus Regierungskreisen, dass auch ein zweiter Attentäter über die Türkei und Griechenland eingereist sein könnte. Eine Bestätigung oder weitere Informationen dazu gibt es bislang nicht.

Eine weitere Spur führte die Ermittler nach Belgien: Dort wurden sieben Verdächtige festgenommen. Zwei der getöteten Attentäter von Paris lebten zuletzt im Großraum Brüssel. Es handele sich um zwei Personen mit französischem Pass, wie die Brüsseler Staatsanwaltschaft nach Angaben der belgischen Nachrichtenagentur Belga mitteilte.

Belgiens Justizminister Koen Geens sagte, die Festnahmen stünden in Verbindung mit dem Polo, der von den Angreifern in der Konzerthalle Bataclan benutzt wurde. Laut Staatsanwalt Molins aus Paris war der belgische Mietwagen von einem in Belgien lebenden Franzosen geliehen worden. Die Polizei sucht auch nach einem schwarzen Seat, aus dem die Angreifer die Menschen in den Bars und Restaurants beschossen.

Wo schlugen die Attentäter zu?

Die Attentatsserie begann am Freitagabend gegen 21.20 Uhr. Die Terroristen schlugen an sechs Orten in Paris und dem Vorort Saint-Denis koordiniert zu. Vor dem "Stade de Paris", in dem zu diesem Zeitpunkt die erste Hälfte des Freundschaftsspiels Frankreich gegen Deutschland lief, explodierten drei Sprengsätze - an zwei Eingängen zum Stadion sowie bei einem McDonald's-Restaurant in der Nähe. Die Explosionen waren auch im Stadion zu hören und sorgen dort unter den rund 80.000 Zuschauern zunächst für Unruhe, später für Panik.

Die meisten Opfer gab es beim Überfall auf die Konzerthalle Bataclan, wo zu diesem Zeitpunkt ein Rock-Konzert der US-amerikanischen Gruppe Eagles of Death Metal läuft. Drei Terroristen schossen wahllos in die Menge; Augenzeugen berichten später, die Schützen hätten ihre Gewehre auch auf am Boden liegende Menschen gerichtet. Es folgte eine fast dreistündige Geiselnahme in dem Konzertsaal am Boulevard Voltaire. Der Veranstaltungsort war mit 1500 Plätzen ausverkauft. Gegen 00:30 Uhr stürmten Einsatzkräfte der Polizei den Saal. Als die Polizei einrückte, sprengten sich zwei Geiselnehmer mit Sprengstoffgürteln in die Luft, einer wurde von der Polizei erschossen.

In der Rue de Charonne im 11. Arriondissement im Osten der Stadt wurden in der Nähe der Bar "La Belle Équipe" mindestens 18 Menschen erschossen. Etwas weiter nördlich wurden an der Ecke der Straßen Rue Bichat und Alibert auf der Terrasse des Restaurants "Le Petit Cambodge" Schüsse abgefeuert - 14 Menschen wurden getötet. Weiter westlich, an der Ecke der Rue du Faubourg du Temple und der Rue de la Fontaine au Roi, starben im Café "Bonne Bière" fünf Menschen im Kugelhagel. Über den genauen Ort gibt es aber widersprüchliche Angaben. Einige französische Medien verzeichnen als Anschlagsort die nahe gelegene Terrasse der Pizzeria "La Casa Nostra". Etwas südlich, am Boulevard Voltaire, wurde ein Mensch erschossen.

Hat sich jemand zu den Anschlägen bekannt?

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" hat sich zu der Anschlagsserie bekannt. "Acht Brüder" mit Sprengstoffgürteln und Sturmgewehren hätten einen "gesegneten Angriff" auf das "Kreuzzug-Frankreich" verübt, hieß es in einer Erklärung des IS. Darin wurden die Anschlagsziele in der "Hauptstadt des Ehebruchs und des Lasters" als sorgfältig ausgewählt bezeichnet.

Frankreich bleibe ein Hauptziel der Terrormiliz, da das Land es wage, "den Propheten zu beleidigen, es prahlt mit einem Krieg gegen den Islam in Frankreich und greift Muslime im Land des Kalifats mit Flugzeugen an". Zuvor hatte die Terrorgruppe ein Video veröffentlicht, in dem mit Verweis auf die französischen Luftangriffe in Syrien zu Anschlägen in Frankreich aufgerufen wird. Das Datum der Aufzeichnung geht aus dem Video aber nicht hervor.

Auch Frankreichs Präsident François Hollande macht den IS für die Taten verantwortlich und sprach von einem "Kriegsakt". Überlebende des Massakers im Bataclan berichteten, die Geiselnehmer hätten Frankreichs Beteiligung an den Luftangriffen gegen den IS in Syrien als Grund für ihren Angriff genannt. Auch sollen sie "Allahu Akbar" ausgerufen haben ("Gott ist groß").

Gab es Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat?

Dazu haben sich die Ermittler bislang nicht konkret geäußert. Am Freitagvormittag hatte es eine Bombendrohung gegen das Hotel gegeben, in dem sich die deutsche Fußball-Nationalelf aufhielt. Das Hotel wurde geräumt und durchsucht; danach wurde Entwarnung gegeben. Am Vortag hatte die französische Polizei einen 35-jährigen Islamisten verhaftet, der einen Anschlag auf Frankreichs wichtigsten Militärhafen Toulon geplant haben soll. Ob es zwischen diesen Ereignissen und der Attentatsserie einen Zusammenhang gibt, ist noch nicht bekannt.

Möglicherweise führt auch eine Spur nach Deutschland: Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks haben Schleierfahnder vor wenigen Tagen bei Rosenheim einen Mann verhaftet, der zum Umfeld der Täter gehört haben könnte. Demnach sei der Mann aus Montenegro auf der Autobahn München-Salzburg unterwegs gewesen. In seinem Pkw hätten die Fahnder ein professionelles Versteck entdeckt, in dem sich mehrere Pistolen, Revolver, Munition, Maschinengewehre und Sprengstoff befunden hätten. Unterlagen hätten darauf hingewiesen, dass der Mann auf dem Weg nach Paris gewesen sei. Unmittelbar nach der Festsetzung des 51-Jährigen habe das Landeskriminalamt Kontakt mit den französischen Behörden aufgenommen und diese über Details der Festnahme informiert. Die französischen Sicherheitsbehörden hätten darauf zurückhaltend reagiert, heißt es in der Meldung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. November 2015 um 10:00 Uhr.