Islam-Gelehrter zum Papst-Besuch Einig gegen Gewalt - Dissens bei Verhütung
Der Papst reist heute nach Ägypten. Was erhoffen sich Muslime von dem Besuch? Man wolle gemeinsam gegen Gewalt, Klimawandel und den Verfall der Werte kämpfen, sagt ein hochrangiger Islam-Gelehrter im ARD-Interview. Aber es gibt auch Dissens - etwa bei der Empfängnisverhütung.
ARD: Was erwarten die Azhar-Gelehrten vom interreligiösen Dialog mit dem Vatikan?
Scheich Khaled Omran: Wir hoffen, dass die Azhar und der Vatikan zusammenarbeiten werden, um der Gewalt in der Welt zu begegnen. Das ist ein zentrales Thema, auf das wir uns einigen müssen. Zwar sind wir uns theoretisch darüber einig, aber wir müssen auch Maßnahmen treffen, um diesem Ziel gerecht zu werden. Das ist das eine.
Und dann geht es um Probleme, unter denen die gesamte Menschheit leidet: unter der Erderwärmung, dem Fehlen moralischer Werte bei vielen menschlichen Handlungen. Wir hoffen, auch bei diesen Themen zusammenzukommen. Denn wir halten die Azhar für die größte religiöse Institution der Muslime und den Vatikan für den größten Vertreter der Christen auf der Welt, besonders der katholischen Christen.
Das Dar al-Iftaa untersteht administrativ dem Justizministerium. Es ist unabhängig von der Azhar; seine Gelehrten sind jedoch ausnahmslos Abgänger der Lehreinrichtung. Scheich Khaled Omran ist der Generalsekretär für Rechtsgutachten am Dar al-Iftaa.
"Teil der Lösungen und nicht Teil der Konflikte"
ARD: Sie sprechen von einem Kampf, den Vatikan und Azhar gegen die Gewalt in der Welt führen sollen. Dabei wirkt es so, als wären viele Konflikte religiös befeuert.
Scheich Khaled Omran: Die Welt hat bereits mehrfach Religionskonflikte erlebt. Aber meiner Meinung nach sind nicht die Religionen für diese Konflikte verantwortlich. Es geht vielmehr darum, dass Religionen dabei verfälscht werden. Das kann jede Religion treffen. Ich spreche dabei von einer "Politisierung von Religion" oder von Interessen und anderen Erwägungen.
Unsere Ausgangsposition besagt: Religion muss Teil der Lösungen und nicht Teil der Konflikte sein; Religion muss zur Lösung eines Konfliktes herangezogen werden. Und: Religion darf nicht ausgenutzt werden - als Rechtfertigung zur Austragung von Konflikten. Die Philosophie, die unter den meisten Philosophen und Denkern - zum Beispiel Immanuel Kant - weltweit die größte Akzeptanz findet, spricht sich dafür aus, auf einen Weltfrieden hinzuwirken. Ein Ziel, das jede Religion teilt. Auch wir, im islamischen Glauben und in der Azhar unterstützen diese Auffassung.
An viele Straßen Kairos hängen Plakate, die den Papst-Besuch ankündigen.
"Die Azhar unterstützt Verhütung"
ARD: Sie nennen Probleme, unter denen die gesamte Menschheit leidet, etwa den Klimawandel. Ein ebenfalls weltweit drängendes Problem ist das rasante Bevölkerungswachstum, auch in Ägypten: Immerhin leben hier mehr als 91 Millionen Menschen. Das ist eine Herausforderung, der man mit Verhütung begegnen kann. Der Vatikan ist in diesem Punkt klar; was sagen die Azhar-Gelehrten zu Verhütung?
Scheich Khaled Omran: Mit aller Klarheit und Direktheit sagen wir: Ja! Die Azhar unterstützt Verhütung und ruft die Menschen dazu auf, die Geburten zu regulieren. Es ist bekannt, dass wir in Ägypten mit dem Bevölkerungswachstum ein Problem haben. Und in diesem Zusammenhang wurden bereits entsprechende Gutachten vom Dar al-Iftaa, vom Zentrum für Islamische Studien, aber auch von anderen religiösen Einrichtungen erstellt und veröffentlicht. Sie alle fordern die Menschen dazu auf, bei der Familienplanung Verantwortung zu übernehmen. Wir, im Dar al-Iftaa und in der Azhar, unterstützen jeden Schritt in die richtige Richtung, um dem Thema Überbevölkerung gerecht zu werden. Denn das ist eines der größten globalen Probleme überhaupt.“
ARD: Dann sind islamische Institutionen dem Vatikan in diesem Punkt einen Schritt voraus?
Scheich Khaled Omran: Wir respektieren die Lehre des Vatikans, dessen Grundlagen, sowie dessen religiöse Aussagen. Allerdings vertritt die Azhar eine andere Position in dieser Frage. Die Azhar geht von ihren religiösen Grundlagen aus und spürt das Problem sehr stark.
"Wir hoffen auf einen echten Dialog"
ARD: 1998 haben die Azhar und der Vatikan den Dialog miteinander aufgenommen. 2006 kam es zur ersten Krise: Franziskus Vorgänger, Papst Benedikt XVI., hatte in einer Vorlesung in Regensburg aus einem mittelalterlichen Streitgespräch zitiert. In dem bezeichnete ein byzantinischer Kaiser den Islam als "schlecht und inhuman". Dass Papst Benedikt XVI. darauf anspielte, sorgte weltweit - nicht nur unter Muslimen - für Empörung. Nach einem Anschlag auf eine koptische Kirche in Ägypten, 2011, forderte Benedikt XVI. dann, die koptischen Christen besser vor Gewalt und Terror zu schützen. Infolge brach die Azhar die Beziehungen zum Vatikan ab. Vor gut einem Jahr kam es zu einem Neuanfang: Der Großscheich der Azhar reiste auf Einladung des neuen Papstes, Franziskus, nach Rom. Wie würden Sie die Beziehungen der Institutionen zueinander heute beschreiben?
Scheich Khaled Omran: In letzter Zeit gibt es wieder Kontakte auf akademischer Ebene, um den Dialog wiederherzustellen. Es gibt einen Besucher-Austausch zwischen dem Vatikan und der Azhar, wie den von Ihnen angesprochenen Besuch des Großscheichs im Vatikan. Aber all diese Kontakte sind bislang auf die wissenschaftliche und akademische Ebene beschränkt. Es gab auch einen gedanklichen Austausch. Wir hoffen, dass die gemeinsamen Anstrengungen in einen echten Dialog münden werden.
ARD: Worauf genau wollen Sie hinaus?
Scheich Khaled Omran: Was ich meine: Können wir irgendwann mit gemeinsamen Initiativen aufwarten? Mit Initiativen, die sich für die Moral und gegen den Verfall der Werte engagieren? Können wir Initiativen verkünden, die die Familie schützen?
Wir haben uns mit dem Vatikan sehr lange über das Thema Familie ausgetauscht. Auf gedanklicher Ebene. Doch wann können wir gemeinsam initiativ werden? Dabei könnten wir auch mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten, etwa um die Rechte von Frauen zu schützen - auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien unser beider Lehren. Können wir uns auch auf ein gemeinsames Dokument im Rahmen dieser Lehren zu den Rechten der Kinder einigen? Wir hoffen, in diesen Bereichen mit dem Vatikan und mit den internationalen Organisationen zusammenzukommen. Dann können wir versuchen das, worauf wir uns geeinigt haben, umzusetzen.
ARD: Das heißt, dass Sie nicht mit dem zufrieden sind, was bislang erreicht wurde?
Scheich Khaled Omran: "Ich persönlich wünsche mir, dass wir doppelt so viel Erfolg haben wie bisher. Das bedeutet nicht, dass ich unzufrieden bin. Aber ich strebe danach, dass wir gemeinsam mehr Ergebnisse erzielen, denn beide Institutionen, die Azhar und der Vatikan, haben große Potentiale. Ja, wir wollen mehr erreichen!
Das Interview führten Susanne El Khafif und Björn Blaschke, ARD-Studio Kairo. Übersetzung: Abdul Bar Zahran