Fragen und Antworten Jung, dicht besiedelt, unterentwickelt

Stand: 23.09.2011 08:30 Uhr

Tagelang versuchen Diplomaten, Palästinenserpräsident Abbas von seinem Plan abzubringen: Nun bat er die UNO formell um die Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat. Doch über die Lebenswirklichkeit in den palästinensischen Gebieten wird nur selten berichtet. Wie viele Menschen leben im Westjordanland und im Gazastreifen, wie ist ihre wirtschaftliche Lage? tagesschau.de hat Daten und Fakten zusammengestellt.

Zusammengestellt von Eckart Aretz, tagesschau.de

Wie groß sind die palästinensischen Gebiete?

Die palästinensischen Gebiete sind, gemessen an ihrer weltpolitischen Bedeutung, relativ klein. So umfasst das Westjordanland ohne Ost-Jerusalem 5655 Quadratkilometer - das ist gut zwei Mal die Fläche des Saarlands. Der Gazastreifen umfasst 365 Quadratkilometer und ist damit in etwa so groß wie Bremen.

Beide Gebiete haben indes keinen Berührungspunkt - die geringste Entfernung zwischen ihnen beträgt rund 30 Kilometer. Israel kontrolliert die Außengrenzen beider Gebiete und hat zudem im Westjordanland eine Sperranlage zum Schutz gegen Terroristen errichtet, die stellenweise tief in das Land einschneidet. Zudem gibt es im Westjordanland eine Großzahl jüdischer Siedlungen, deren Zukunft zwischen beiden Seiten, aber auch innerhalb Israels umstritten ist.

Ebenso offen ist, wie in einem Friedensvertrag die Zugehörigkeit Ost-Jerusalems geregelt wird. Israel hat den Stadtteil 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzt und 1980 annektiert. Die Palästinenser halten ihren Anspruch aber aufrecht und berufen sich dabei auf eine UN-Resolution, die die Annexion als völkerrechtswidrig bezeichnet.

Wie viele Menschen leben dort?

Dem CIA World Factbook nach leben rund 4,3 Millionen Menschen in den palästinensischen Gebieten, mit 2,6 Millionen die Mehrheit davon im Westjordanland. Im Gazastreifen leben rund 1,7 Millionen Menschen. Hinzu kommen circa 295.00 jüdische Siedler im Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem).

Brisant ist in diesem Zusammenhang die Frage der Einbeziehung der palästinensischen Flüchtlinge. Laut UNO leben in den palästinensischen Gebieten und in den benachbarten arabischen Staaten Jordanien, Libanon und Syrien insgesamt 4,9 Millionen palästinensische Flüchtlinge. Die palästinensische Führung fordert ein Rückkehrrecht in ihre Heimatregion, was nicht zuletzt Israel betreffen würde. Dies lehnt die Regierung in Jerusalem aber ab. In Israel selbst leben circa 1,7 Millionen Palästinenser - gut ein Viertel der Bevölkerung.

Die Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten wächst schnell und ist entsprechend jung. Im Westjordanland wird für dieses Jahr ein Bevölkerungswachstum von 2,1 Prozent erwartet, im Gazastreifen von 3,2 Prozent - eine der höchsten Raten weltweit. Nur sechs Staaten verzeichnen ein stärkeres Bevölkerungswachstum. Die Lebenserwartung beträgt im Westjordanland 75 Jahre, im Gazastreifen 74 Jahre.

Im Gazastreifen liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei 17,7 Jahren - etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung ist 14 Jahre oder jünger. Im Westjordanland liegt das Durchschnittsalter mit 21,3 Jahren etwas höher - dort ist gut ein Drittel der Bevölkerung 14 Jahre oder jünger. Ein Vergleich mit Deutschland macht die Dynamik dieser Entwicklung deutlich: Hierzulande liegt das Durchschnittsalter bei 44,9 Jahren - und die Bevölkerung geht 2011 vermutlich um 0,2 Prozent zurück.

Welche ethnischen und religiösen Gruppen gibt es?

Die überwiegende Mehrheit in beiden Gebieten sind Araber: Sie stellen im Westjordanland 83 Prozent der Bevölkerung, im Gazastreifen dürfte die Zahl noch größer sein. Entsprechend dominant ist der Anteil der Muslime. Im Gazastreifen gehören 99 Prozent dieser Glaubensrichtung an, die meisten von ihnen sind Sunniten. Im Westjordanland liegt die Zahl der Muslime mit 75 Prozent etwas niedriger. Dort gibt es neben einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 17 Prozent - den Siedlern - auch eine christliche Minderheit.

Wie ist die Lage der Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten?

Nimmt man das Wirtschaftswachstum als Indikator für die wirtschaftliche Lage, dann geht es mit den palästinensischen Gebieten deutlich bergauf. Im Jahr 2009 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geschätzt 6,1 Milliarden US-Dollar und wuchs gegenüber dem Vorjahr um 6,8 Prozent. Laut Schätzung der Gesellschaft für Außenwirtschaftsförderung (GTAI) wuchs das BIP 2010 sogar um 8,0 Prozent. Im internationalen Vergleich rangierten die palästinensischen Gebiete 2008 mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 2900 US-Dollar auf Rang 169 (von 227 Staaten).

Der Bezug auf das Vorjahr verschleiert indes, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft immer noch nicht von den Folgen der zweiten Intifada erholt haben, die im Oktober 2000 begann und formell im Februar 2005 endete. Noch 2010 lag in beiden Gebieten das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf unter dem Niveau des Jahres 1999: im Westjordanland um zehn Prozent, im Gazastreifen sogar um 40 Prozent. Dort gab es 1999 noch israelische Bewohner, die auch für zahlreiche Arbeitsplätze sorgten.

Westjordanland und Gazastreifen wirtschaften indes unter unterschiedlichen Voraussetzungen. Importe und Exporte des Gazastreifens werden von Israel trotz internationaler Kritik stark eingeschränkt, da das Gebiet von der radikalislamischen Hamas beherrscht wird.

Auch das von der gemäßigteren Fatah regierte Westjordanland ist Restriktionen durch Israel unterworfen, aber in geringerem Maße. Zudem stützt die internationale Gemeinschaft das Westjordanland massiv. Allein 2010 erhielt die palästinensische Autonomiebehörde Finanzhilfen in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar. Beobachter bemängeln deshalb, dass die Wirtschaft in dem Gebiet vor allem am Tropf der Staatengemeinschaft hängt. Ein weiteres Problem stellt die Infrastruktur dar. So verfügen die palästinensischen Gebiete weder über einen Seehafen noch über einen internationalen Flughafen.

Wie ist die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung?

Das wirtschaftliche Wachstum der vergangenen Jahre kann nicht darüber hinwegtäuschen: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung lebt in Armut. Die Angaben dazu schwanken allerdings. Nach Angaben des Auswärtige Amtes (AA) lebt ein Drittel der palästinensischen Gesamtbevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Weltbank beziffert ihre Zahl dagegen für 2009 auf 21,9 Prozent. Allerdings lassen die Daten der Weltbank auch hier auf eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse schließen. Denn 2007 lag demnach die Zahl der Ärmsten bei 31,2 Prozent.

Unbestritten ist: Die Lebensverhältnisse zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen klaffen weit auseinander. So leben laut AA 70 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen unterhalb der Armutsgrenze, im Westjordanland dagegen 19 Prozent. Auch ein Vergleich des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf unterstreicht den Unterschied. Laut GTAI liegt es im Gazastreifen 45 Prozent unter dem des Westjordanlands.

Die Arbeitslosigkeit liegt laut Weltbank bei 24,5 Prozent. Sie trifft vor allem junge Menschen hart. 39 Prozent aller Männer im Alter von 15 bis 24 Jahren war im Jahr 2008 ohne Job, bei Frauen in derselben Altersgruppe lag die Quote sogar bei 47 Prozent.

In welchen Branchen sind die Menschen beschäftigt?

Von den Beschäftigten war 2008 im Westjordanland der Großteil im Dienstleistungssektor angestellt (65 Prozent). Deutlich dahinter rangierte die Industrie (23 Prozent) und die Landwirtschaft (12 Prozent). Im Gazastreifen fiel der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor mit 85 Prozent noch größer aus, während nur fünf Prozent einer Beschäftigung in der Industrie nachgingen.

Wie ist der Bildungsgrad der Bevölkerung?

Der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung ist vergleichsweise hoch. 94,6 % Prozent der Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen konnten laut UNESCO im Jahr 2009 schreiben und lesen - ein Wert, der deutlich über der Quote vieler anderer arabischer Staaten lag. Der durchschnittliche Zeitraum, den Jungen und Mädchen laut CIA World Factbook an Schulen und Hochschulen verbringen, beträgt 14 Jahre.

Wie ist es um den Zugang zu natürlichen Ressourcen bestellt?

Ein großes Problem ist in den palästinensischen Gebieten der Zugang zu Wasser. Im Westjordanland haben nach einem Bericht der GIZ zehn Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu fließendem Wasser, im Gazastreifen sogar 40 Prozent. Dort gelten 90 bis 95 Prozent der Wasservorräte als verschmutzt.

Die Verteilung der Vorräte unter dem Westjordanland ist ein ständiger Streitpunkt zwischen den Palästinensern und Israel. Sie wurde zwischen beiden Seiten zwar 1995 im Abkommen von Oslo geregelt. Doch nach einem Bericht der Weltbank entnimmt Israel deutlich mehr, als dem Land zusteht. Dadurch käme es in den palästinensischen Gebieten immer wieder zu Wasserknappheit.