Opioid-Krise in den USA Pharmafirmen retten sich in Vergleich
Kurz bevor in Cleveland ein erster Mammutprozess gegen mehrere Hersteller von Opioiden hätte beginnen sollen, verkünden die Firmen einen Vergleich mit den Klägern. Doch dies ist wohl nur der Anfang.
Im bislang größten Rechtsstreit um die Opioide-Krise in den USA haben die Kläger und mehrere Firmen eine gütliche Einigung erzielt. Dies teilte ein Richter in Cleveland im Bundesstaat Ohio mit. Der Vergleich wurde kurz vor dem für diesen Montag geplanten Beginn eines Prozesses geschlossen. Nach Informationen der "Washington Post" hat der Vergleich ein Volumen von 233 Millionen Dollar.
Allerdings sind an der Vereinbarung nur ein Teil der Kläger und Angeklagten beteiligt, unter anderen die drei US-Handelsunternehmen MccKesson Corp., AmerisourceBergen, Cardinal Health und der israelischen Hersteller Teva.
Dieser erste Vergleich ist dennoch wichtig, weil die Möglichkeit besteht, dass die Vereinbarung noch auf andere Kläger und angeklagte Firmen ausgedehnt wird und am Ende eine Höhe von vielen Milliarden Dollar erreicht.
2600 Klagen
Bereits am vergangenen Donnerstag hatte die Agentur Reuters von einem bevorstehenden Vergleich zwischen Pharmaunternehmen und ihren Klägern berichtet. Danach sollten Insidern zufolge fünf Pharmakonzerne und Arzneimittelgroßhändler einen Vergleich in Höhe von 50 Milliarden Dollar anstreben. 22 Milliarden sollten in bar fließen und zusätzlich Arzneimittel und Dienstleistungen im Wert von 28 Milliarden bereitgestellt werden. Die Agentur berief sich auf zwei mit den Vorgängen vertraute Personen.
Die Pharmaindustrie in den USA sieht sich insgesamt 2600 Klagen von Ländern und Kommunen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen gegenüber, die versuchen, Arzneimittelhersteller und -händler für die Kosten des Opioidmissbrauchs verantwortlich zu machen.
400.000 Tote seit 1999
Den Firmen wird vorgeworfen, dem Missbrauch der starken, verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln Vorschub geleistet zu haben. Dieser Missbrauch kostete einer kaum vorstellbaren Zahl Amerikaner das Leben: Zwischen 1999 und 2017 sollen nach Behördenangaben nicht weniger als 400.000 Menschen durch eine Opioid-Überdosis gestorben sein. Noch immer sterben jeden Tag 130 Menschen.
Opioide sind starke Schmerzmittel, die natürlicherweise im Schlafmohn vorkommende Wirkstoffe enthalten und somit eine große Ähnlichkeit zu Opium aufweisen. Im Zentrum der Krise steht vor allem das Medikament Fentanyl, ein synthetisches Opioid. Als zugelassenes Medikament wird es als Betäubungsmittel bei der Behandlung schwerer Schmerzen insbesondere bei Krebspatienten eingesetzt. Laut Nationalem Drogenmissbrauchsinstitut der USA ist Fentanyl 50 Mal stärker als die illegale Opioid-Droge Heroin. Seit einigen Jahren wird Fentanyl in den USA zunehmend als Droge in Form von Pulver, Sprays oder Tabletten konsumiert, denen oft andere Drogen wie Heroin oder Kokain beigemischt sind.
Inzwischen insolvent: Oxycontin-Hersteller Purdue.
Ein anderes in der Kritik stehende Produkt ist Oxycontin des Herstellers Purdue. Purdue musste nach ersten Vergleichen bereits Insolvenz anmelden.
Pharmafirmen und Apotheken machten Werbung für Opioide
Viele Experten führen die Opioid-Krise auf die übermäßige Verschreibung von Schmerzmitteln zurück, die bis Mitte der 1990er-Jahre noch der Behandlung von Schwerstkranken vorbehalten waren. Später wurden die Medikamente auch nach Sportunfällen oder Zahnbehandlungen verschrieben. Den Herstellern sowie US-Apotheken wird vorgeworfen, die Mittel aggressiv beworben und auf Warnzeichen der Suchtkrise nicht reagiert zu haben.
Viele Patienten hatten über massive Entzugserscheinungen geklagt, als die Verschreibung ihrer Schmerzmittel endete. Ein Teil hatte dann versucht, sich die Suchtmittel illegal zu beschaffen - und war in die Heroin-Sucht abgeglitten. Daher werden die Hersteller nun massenhaft mit Klagen überzogen.
In Deutschland schließen Experten eine ähnliche Krise bislang aus. Zum einen seien die Vorschriften für Arzneimittel sehr viel strenger, zum anderen spiele Heroin in der Drogenszene im Vergleich zu den USA eine viel geringere Bedeutung.