Kims Waffenprogramm "Trump hat Kims Gepolter aufgewertet"
Innerhalb weniger Monate hat Nordkorea Tests von mehreren neuen Raketen verkündet. Kann ein Land sein Waffenprogramm so schnell vorantreiben? ARD-Korrespondent Klaus Scherer über nordkoreanische Kraftmeierei, Raketen aus Handarbeit und verzweifelte US-Diplomaten.
tagesschau.de: Nordkorea behauptet, mit der neuen Rakete Ziele auf dem gesamten US-Territorium erreichen zu können. Ist es realistisch, dass diese Art Rakete Atomsprengköpfe über eine solche Distanz trägt?
Klaus Scherer: Ich habe vor Kurzem einen südkoreanischen Unterhändler getroffen, den seine Gesprächspartner in Pjöngjang einmal lachend darum baten, nicht ständig auf ihre Propaganda hereinzufallen. Viel spricht dafür, dass das immer noch gilt.
Natürlich sehen wir von Nordkoreas Führung immer wieder Kraftposen, von denen keiner wirklich weiß, ob und wie sehr sie durch einsatztaugliche Raketenarsenale gedeckt sind. Vor allem westliche Ingenieure, die die Erfordernisse, Entwicklungen und Rückschläge des Raketenbaus kennen, bezweifeln, dass Kim Jong Un tatsächlich über treffsichere Raketen dieser Reichweite verfügt - die dann noch eine halbe Tonne Last tragen und dazu den Wiedereintritt in die Atmosphäre überstehen.
tagesschau.de: Dennoch scheint Nordkorea mit seinem Waffenprogramm Fortschritte zu machen - die Raketen fliegen ja.
Klaus Scherer: Richtig. Man könnte sogar einwenden, dass es ja reichen würde, wenn nur eine von fünf Raketen Schaden anrichtet - selbst wenn diese in Handarbeit und mit Kabeln, Kameras und Schaltern angefertigt worden wärde, die wir eher aus dem Baumarkt kennen. In Trümmern, die Südkoreas Flotte zuletzt aus dem Meer gefischt hatte, war das tatsächlich etwas sehr ähnliches zu erkennen.
Viele Sicherheitsexperten, auch in den USA, wollen deshalb nicht darauf vertrauen, dass Kim nur blufft. Allerdings teilen die meisten Experten den Eindruck, dass er sein Waffenprogramm nur zur Abschreckung verfolgt - denn nur dafür taugt es. Kim will sich und sein aus der Zeit gefallenes Regime absichern. Dass er einen Erstschlag oder gar einen Krieg gegen die USA nicht überstehen würde, weiß er. Das Gerede von Augenhöhe ist Kraftmeierei.
tagesschau.de: Gegen Nordkorea wurden sehr strenge Sanktionen verhängt. Selbst der einstige Verbündete China macht da inzwischen mit. Wie lange kann Kim noch eskalieren?
Klaus Scherer: Raketenkonstrukteure, mit denen ich gesprochen habe, gehen fest davon aus, dass kein Land ständig neue Modelle aus dem Hut zaubern kann, die sofort erfolgreich fliegen. Das hieße, sie wurden zuvor schon getestet, und die Ähnlichkeiten etwa mit früheren sowjetischen Modellen sind auffällig.
Fachleute schließen dann nicht aus, dass vieles davon ganz oder teilweise auf dem Schwarzmarkt verfügbar war und die nötigen Waffenexperten dazu. Auch die Landgrenze zu China sei überaus löchrig, hören wir von UN-Ermittlern, schon im Pekinger Außenministerium würde keiner mehr die Sanktionsdetails verstehen, geschweige denn der Zoll am Grenzübergang.
Bleibt die Hoffnung, dass die allgemeinen Wirtschaftssanktionen Kim zum Einlenken zwingen könnten. Die mag der US-Präsident haben, und so verhält er sich ja bisher auch. In der Region habe ich eher das Gegenteil gehört. Nordkorea würde nie auf das erreichte Atomprogramm verzichten, eher würde das Land, so wörtlich, am Ende Gras fressen.
tagesschau.de: Wie kann der Konflikt gelöst werden? China fordert die USA und Nordkorea zu Gesprächen auf. Trump selbst hatte schon mal angedeutet, dass er Kim treffen könnte. Wäre denn nicht der Zeitpunkt für Gespräche gekommen, wenn Nordkorea reklamiert, sein Atomprogramm sei jetzt abgeschlossen?
Klaus Scherer: Es gab und gibt gar keine Alternative zu Gesprächen. Auch amerikanische Diplomaten raufen sich ja lange schon die Haare, seit Donald Trump Kims Gepolter dadurch aufgewertet hat, dass er sich darauf einließ und nun keiner mehr davon runterkommt. Noch mehr beklagen sie, und das auch in der Region, dass es keinen Gesprächskanal gebe, geschweige denn einen Unterhändler wie Ex-Präsident Jimmy Carter, der sich ausdrücklich angeboten hatte, ja nicht einmal eine erkennbare Haltung. Und wenn ich heute in den Meldungen lese, dass Trump im neuen Raketentest keine Gefahr für die USA und ihre Verbündeten sehe, während Japans Regierungschef Abe das glatte Gegenteil verbreitet, habe ich nicht mal den Eindruck, dass die das koordinieren.
Zeitgleich wird von der US-Regierung ausgerechnet der mühsam ausgehandelte Iran-Deal torpediert, der langfristig Modell für eine Lösung sein könnte. Das macht es jedem Diplomaten noch schwerer.