Fall Nawalny EU fordert "unabhängige Untersuchung"
Nachdem erste Befunde auf eine Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny hindeuten, verlangt die EU eine "unabhängige und transparente Aufklärung" durch Russland. In Berlin hält die Kritik an der Lage russischer Oppositioneller an.
Die Europäische Union fordert im Fall des mutmaßlich vergifteten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny eine "unabhängige und transparente Untersuchung" von Russland. Das erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Brüssel.
Die EU verurteile den mutmaßlichen "Angriff auf Nawalnys Leben" schärfstens, so Borrell weiter. Eine unabhängige Untersuchung des Falls sei "zwingend" und "ohne Verzögerung" von Seiten der russischen Behörden erforderlich - das russische Volk sowie die internationale Gemeinschaft wollten "die Fakten hinter Herrn Nawalnys Vergiftung" erfahren.
"Das wahre Gesicht des Regimes"
Zuvor hatte auch die Bundesregierung Russland zur Aufklärung gedrängt. "Angesichts der herausgehobenen Rolle von Herrn Nawalny in der politischen Opposition in Russland sind die dortigen Behörden nun dringlich aufgerufen, diese Tat bis ins letzte aufzuklären - und das in voller Transparenz", schrieben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas in einem gemeinsamen Erklärung. Die Verantwortlichen müssten ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.
Aus der Sicht des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen geht von der Tat eine Botschaft der Drohung und Einschüchterung an alle russischen Oppositionellen aus. Der Fall habe "erneut das wahre Gesicht des Regimes und von Wladimir Putin persönlich gezeigt", so Röttgen gegenüber der ARD.
Auch die Opposition im Bundestag beklagte den Umgang in Russland mit Regierungskritikern. So habe es in Russland System, Andersdenkende zu beseitigen, sagte Omid Nouripour von den Grünen. Der Bundestagsabgeordnete rief die Bundesregierung dazu auf, in der EU eine Linie abzustimmen.
Zudem müsse erneut über die Gaspipeline North Stream 2 nachgedacht werden. "Ich finde, die Bundesregierung sollte hier endlich umdenken und prüfen, ob solch eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit, die auch noch auf Kosten anderer EU-Partner stattfindet, angesichts dieser Ereignisse noch sinnvoll sein kann", so Nouripour gegenüber dem "Spiegel".
Charité geht von Vergiftung aus
Die Ärzte der Berliner Charité, in die Nawalny zuvor eingeliefert worden war, gehen derweil davon aus, dass der Kreml-Kritiker vergiftet wurde. Darauf wiesen klinische Befunde hin, wie eine Sprecherin der Klinik mitteilte. Die konkrete Substanz sei bisher nicht bekannt, sagte sie weiter.
Die ersten Untersuchungen deuteten aber auf eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer hin. Die Wirkung des Giftstoffs sei mehrfach und in unabhängigen Laboren nachgewiesen worden.
Russische Ärzte: Keine Hinweise auf Vergiftung
Nawalny war am Samstag aus dem sibirschen Omsk nach Berlin ausgeflogen worden. Die russischen Ärzte hatten nach eigenen Aussagen keine Spuren einer Vergiftung festgestellt. Auch Hinweise auf einen Cholinesterase-Hemmer haben man bei den Untersuchungen nicht feststellen können, hieß es Stunden nach der entsprechenden Mitteilung der Charité.
Vorwürfe, sie hätten auf Anweisung Moskaus die Ursache der Erkrankung verschleiert und Nawalny zunächst in ihrem Krankenhaus behalten, um den späteren Nachweis von Gift zu erschweren, wiesen die Mediziner in Omsk zurück
Das sibirische Katastrophenschutzministerium ergänzte zudem, das Krankenhaus in Omsk sei bereit, den Medizinern in Berlin alle Ergebnisse der bei Nawalny vorgenommenen Labortests sowie Materialproben zu übergeben. MRT-Aufnahmen seien bereits weitergeleitet worden.