NATO-Chef in Georgien Russland beeindrucken, aber nicht provozieren

Stand: 27.08.2015 17:15 Uhr

Inmitten erneut wachsender Spannungen im Ukraine-Konflikt hat NATO-Generalsekretär Stoltenberg eine andere konfliktträchtige Ex-Sowjetrepublik besucht. In Georgien eröffnete er ein gemeinsames Militärtrainingszentrum. Die damit verbundene Absicht könnte aufgehen.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Es ist kein ganz einfaches Terrain, auf das sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg heute bei seinem Besuch in Georgien begeben hat. Es ging einerseits darum, der Südkaukasusrepublik Anerkennung und Unterstützung zu zeigen. Andererseits soll dessen übermächtiger Nachbar Russland zwar mit Stärke beeindruckt, aber doch nicht provoziert werden.

Ein Zeichen dafür ist der wichtigste Programmpunkt seines Kurzbesuchs: Die Einweihung eines gemeinsamen Trainingszentrums der NATO und Georgiens auf dem Übungsplatz Krtsanisi zehn Kilometer östlich der Hauptstadt Tiflis.

Während der Aufbauphase des "Joint Training and Evaluation Center" (JTEC) arbeiten sechs NATO-Militärs aus Dänemark, Lettland, Litauen und Norwegen zusammen mit acht georgischen Armeevertretern. Ab 2016 sollen dann georgische Einheiten sowie Soldaten aus der Schwarzmeer-Region und dem Kaukasus in Krtsanisi und anderen Militäreinrichtungen in Georgien trainiert werden. Es geht darum, die Verteidigungsfähigkeit der georgischen Armee zu stärken und die Kompatibilität mit den NATO-Staaten und -Partnern zu erhöhen.

Das JTEC ist eine Maßnahme aus einem "umfangreichen Paket", das die NATO-Staaten bei ihrem Gipfel im September 2014 in Wales für Georgien beschlossen haben. Dazu zählen Manöver mit NATO-Alliierten und -Partnerländern, der Ausbau des NATO-Verbindungsbüros in Tiflis sowie Beratung des Verteidigungsministeriums in Tiflis.

Georgien engagiert sich im Gegenzug

Stoltenbergs Besuch ist den pro-westlichen Parteien in der amtierenden Koalition "Georgischer Traum" sehr wichtig. Zwar wächst die Ernüchterung über die NATO, aber eine Mehrheit der Bevölkerung und die Regierung setzen weiter auf die NATO-Mitgliedschaft als Schutz in einer Region, die vom nördlichen Nachbarn Russland dominiert wird.

Im Gegenzug für die Annäherung an die NATO engagierte sich Georgien bei internationalen Einsätzen, so in Afghanistan. Bei der derzeit laufenden Mission "Resolute Support" ist Georgien mit 885 Soldaten zweitgrößter Truppensteller. Eine Aufklärungskompanie der georgischen Armee bewacht unter deutschem Kommando das Camp Marmal. 130 georgische Soldaten erhielten dafür in Deutschland ein fünfmonatiges Training.

Zudem bildete die US-Armee in den vergangenen Jahren 12.000 georgische Soldaten für Auslandsmissionen aus. Auch gemeinsame Manöver gibt es seit längerem. So markieren das neue Trainingszentrum und die weiteren Maßnahmen des NATO-Pakets einen Ausbau der bisherigen Kooperation.

Von einer neuen Qualität ist hingegen, dass Verteidigungsministerin Tina Chidascheli am 15. Juni in Paris mit dem Rüstungsunternehmen ThalesRaytheonSystems den Kauf eines Luftverteidigungssystems vereinbarte. Dieser Anschaffungswunsch war Georgien in den vergangenen Jahren verwehrt worden.

Vor den Toren der NATO

So umfangreich die Kooperation klingt, es ist nicht die Mitgliedschaft in der Allianz, die Georgien beim NATO-Gipfel 2008 in Bukarest versprochen bekam und die auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch am 17. August 2008 in Tiflis zusagte.  

Damals war es dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gerade gelungen, im Namen der EU einen Waffenstillstand zwischen Georgien und Russland auszuhandeln, nachdem der Konflikt um die abtrünnige Region Südossetien zu einem Krieg eskaliert war.

Am Ausbruch des Krieges hatte die georgische Führung um den damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili ihren Anteil. Russland aber zog entgegen dem Abkommen mit der EU seine Truppen nach dem Einmarsch in Südossetien und die andere abtrünnige Region Abchasien nicht mehr ab.

Russland übt de facto die Kontrolle über die beiden abtrünnigen Provinzen aus, wie der russische Kaukasus-Experte Sergey Markedonov sagt. Nicht nur das: Die russischen Militärstützpunkte in Südossetien liegen an den von Ost nach West verlaufenden Transitrouten Georgiens, die Hauptstadt Tiflis ist keine 50 Kilometer entfernt.

Ein bisschen Säbelrasseln

Mit Verweis auf die Konflikte um Südossetien und Abchasien lehnen die Bundesregierung und andere NATO-Staaten die Aufnahme Georgiens in die NATO ab. Denn die Frage stellt sich heute mehr denn je: Welcher NATO-Staat wäre bereit, Soldaten in einen Kampf gegen russische Truppen zu entsenden?

Das NATO-Trainingszentrum und die anderen Maßnahmen im Rahmen des "umfangreichen Pakets" können deshalb als Versuch eines Kompromisses verstanden werden, Georgien Unterstützung bei der Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeiten zu geben, ohne das Russland dies als Provokation auffasst.

Dieses Kalkül scheint im Moment aufzugehen. Reaktionen aus Moskau fallen relativ moderat aus. Markedonov erklärt es damit, dass die russische Führung mit dem 2008 errichteten Status Quo im Südkaukasus zufrieden sei.

Zwar sei der Kauf eines Luftverteidigungssystems durch Georgien problematisch, weniger aber das gemeinsame Trainingszentrum der NATO und Georgiens, so Markedonov. Denn eine volle NATO-Mitgliedschaft Georgiens sehe die russische Führung kurz- bis mittelfristig nicht als realistisch an. Außerdem würde die georgische Bevölkerung eine Einmischung Russlands im verbliebenen "Kern-Georgien" nicht unterstützen, so Markedonov.