Afghanistan-Expertin Citha D. Maass Kreative Lösungen statt Militärschläge
Ein "langfristiges Engagement" in Afghanistan müsse her, die internationale Gemeinschaft müsse "Kurs halten", so der UN-Sonderbeauftragte Koenigs heute. Nur: Wie Kurs halten, wohin soll es gehen? Und mit wem soll man verhandeln? tagesschau.de hat die Afghanistan-Expertin Citha D. Maass gefragt.
Ein "langfristiges Engagement" in Afghanistan müsse her, die internationale Gemeinschaft müsse "Kurs halten", so der UN-Sonderbeauftragte Koenigs heute. Nur: Wie Kurs halten, wohin soll es gehen? Und mit wem soll man verhandeln? tagesschau.de hat die Afghanistan-Expertin Citha D. Maass von der Stiftung Wissenschaft und Politik gefragt. Sie informiert und berät Bundestag und Bundesregierung.
tagesschau.de: Wenn von den Taliban die Rede ist, klingt das nach einer homogenen, hierarchisch strukturierten Gruppe. Allerdings führen die Taliban so etwas wie einen Guerilla-Krieg. Wie sind die Taliban organisiert?
Citha Maass: Es gibt den Kernrat um Taliban-Führer Mullah Omar. Dieser hält sich vermutlich in der Gegend von Quetta auf pakistanischer Seite versteckt. Er ist nicht für irgendwelche Verhandlungen ansprechbar und von ihm gehen größere Operationen, der Propaganda-Krieg und die ideologische Richtungsgebung aus. Dann gibt es eine mittlere Ebene mit Kommandanten, die dezentral operieren. Hinzu kommt das Gros derjenigen, die Sympathisanten sind – aus ideologischen Gründen oder aus schierer Überlebensnot. Außerhalb dieser Aufstandbewegung gibt es zum Beispiel im Süden ansässige Drogenbarone und lokale Machthaber, die vor allem Autonomie von der Kabuler Regierung haben wollen. Es handelt sich also um eine eher heterogene Allianz.
tagesschau.de: Wie viel Rückhalt haben die Taliban in der afghanischen Bevölkerung?
Maass: Was die Bevölkerung in erster Linie will, ist Ruhe, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Wenn ein Mindestmaß an Ruhe durch die Taliban garantiert wird, dann duckt sie sich eben dieser sehr harten Herrschaft. Denn die Taliban haben gegenüber der Kabuler Regierung den großen Vorteil, dass sie zwar hartes Recht sprechen, aber kein korruptes.
tagesschau.de: Es gibt Berichte, wonach Polizisten ihre Waffen versetzen, weil sie so wenig verdienen. Wie viel Staatsmacht hat die Kabuler Regierung denn überhaupt?
Maass: Man geht davon aus, dass die Kabuler Regierung in ungefähr einem Drittel des Staatsterritoriums überhaupt nicht präsent ist - vor allem im Süden und Osten. Da sitzen zwar der Gouverneur und der Polizeichef in der Provinzhauptstadt und dann gibt es vielleicht auch noch auf Distriktebene irgendeinen Vertreter. Aber wenn der ineffizient, korrupt oder selbst in den Drogenhandel involviert ist, dann kann er eben die Staatsmacht nicht repräsentieren. Gäbe es dort eine saubere, effiziente Verwaltung, hätten die Taliban überhaupt nicht die Möglichkeiten, sich so stark zu entfalten.
tagesschau.de: Die Soll- und Haben –Bilanz der Isaf-Truppen ist also dürftig. Eigentlich sollen sie die afghanische Staatsmacht ja unterstützen.
Maass: Wir haben im Süden das Problem, dass die Isaf das schwere Erbe der Operation Enduring Freedom (OEF), also der amerikanisch geführten Koalitionskräfte angetreten hat. Die OEF hat einen Krieg gegen den Terrorismus geführt. Sie hat sich dort mit lokalen Machthabern zusammengetan, hat sie mit Waffen und Geld aufgerüstet. Diese Machthaber haben sich dann entweder untereinander bekriegt oder sie haben ihre lokale Macht gegenüber der Kabuler Regierung gestärkt. Das sehr harte Vorgehen der US-geführten Koalitionskräfte hat die Ehre der dortigen Stammesältesten verletzt. Das hat zu einem ganz starken Misstrauen, zum Teil zu Hass gegen westliche Militärpräsenz geführt.
tagesschau.de: Sie fordern in einem ihrer Papiere „kreative Lösungsansätze“. Was empfehlen sie der deutschen Politik?
Maass: Das Fenster für eine nachhaltige Stabilisierung in Afghanistan ist geöffnet. Die Lage ist deutlich schwieriger geworden, aber wir können noch eine positive Entwicklung herbeiführen. Wir müssen uns aber den Kopf über neue Lösungen zerbrechen, wie zum Beispiel die Provinz-Entwicklungsfonds für den Norden. Dabei wird seit Anfang des Jahres die Verantwortung der afghanischen Partner gestärkt. Das heißt, wenn ein Dorfältester ein kleines Projekt vorstellt, so entscheidet in den Provinzen – nicht in Berlin - ein Gremium aus vier afghanischen und vier deutschen Vertretern, ob es finanziert wird. Vor allem aber im Süden müssen wir künftig aufgrund der schwierigen Sicherheitslage, lokale Partner finden, die kleine Projekte vor Ort durchsetzen, um Vertrauen zu bilden und lokalen Kapazitäten und die Verantwortung zu stärken.
Das Interview führte Anja Mößner, tagesschau.de