Reaktionen in der Türkei auf den EU-Beschluss Schelte aus der Politik - Zurückhaltung in der Presse
Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen in acht von 35 Bereichen auf Eis gelegt werden. Das haben die EU-Außenminister beschlossen. Die Regierung in Ankara kritisierte die Entscheidung. In der sonst sehr meinungsfreudigen türkischen Presse wurde hingegen eher zurückhaltend berichtet.
Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkkorrespondent Ankara
Die türkische Presse reagiert verhalten auf die Entscheidung aus Brüssel. Sie wird fast überall auf der ersten Seite erwähnt, ist aber nur bei einem Teil der Zeitungen der Aufmacher. So titelt die linksliberale "Radikal": "EU-Zug drückt auf die Bremse". Im konservativen Massenblatt "Hürriyet" heißt es: "Die EU hat den mittleren Weg gewählt", und in der staatstragend-kemalistischen "Cumhurriyet" lautet die Schlagzeile: "EU verstopft Prozess" und weiter "Keine Änderung an Aussetzungsentscheid. Frankreichs und Deutschlands Agenda-Wunsch findet – wenn auch versteckt - Platz".
Weil der Beschluss der EU-Außenminister nach Dienstende der meisten Kolumnisten kam, deren Spalten die Hauptsäule der meinungsfreudigen türkischen Presse ausmacht, gibt es so gut wie keine Kommentare. Lediglich in der liberalen "Milliyet" ist eine namentlich nicht gezeichnete Meinung zu finden. Dort heißt es: "Die potentielle Gefahr einer Auseinandersetzung zeichnet sich heute zwischen dem Westen und der islamischen Welt ab. Der aktuelle EU-Gipfel wird ein Prüfstein für die Vision der zuständigen Staats- und Regierungschefs sein – kurzsichtig oder weitsichtig."
Erdogan: "Entschlossenheit wird weiter eingehalten"
Der türkische Außenminister Abdullah Gül wirft der EU einen Mangel an Visionen vor. Die Türkei werde den eingeschlagenen Weg der Reformen weitergehen, ihre Häfen aber nicht einseitig für Schiffe aus der Republik Zypern öffnen. In der gleichen Richtung argumentierte auch Regierungschef Erdogan. "Als die Türkei sich damals zur Umsetzung des Zusatzprotokolls verpflichtete, tat sie dies im festen Glauben daran, dass gleichzeitig die Isolationen gegen Nordzypern abgeschafft würden", so der Ministerpräsident. "Unsere Regierung hat von Anfang an deutlich gemacht, dass die Türkei keine einseitigen Zugeständnisse machen wird, ehe nicht etwas zur Aufhebung der Isolationen unternommen wird und dass die Türkei dem Süden Zyperns seine See- und Flughäfen erst öffnen wird, wenn die EU ihrem Versprechen Folge leisten wird. Diese Entschlossenheit wurde und wird weiter eingehalten."
AKP-Politiker wertet Beschluss als Erfolg für die Türkei
Der Punkt Zypern scheint also auf längere Sicht ein Hindernis zu bleiben. Da half es auch nichts, dass der Abgeordnete Ali Riza Alaboyun von der Regierungspartei AKP das gestrige Vorgehen Brüssels als Erfolg für Ankara wertete. "Der Punkt, an den wir gelangt sind, ist ein Erfolg, der aus diplomatischen Eingriffen resultiert", sagt der Politiker, der Mitglied im EU-Ausschuss des Türkischen Parlaments ist. Man habe die Sorge gehabt, dass die Empfehlungen weiter verschärft werden könnten. "Jetzt aber sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die EU angemerkt hat, dass die Zypernfrage durch die Vereinten Nationen gelöst wird, und dass die Isolationen abgeschafft werden." das sei ein großer Erfolg. Allgemein wird damit gerechnet, dass durch die Brüsseler Entscheidung der Anteil der türkischen Bevölkerung, der unbedingt einen Beitritt ihres Landes zur EU wünscht, weiter abnehmen wird.