EU-Russland-Gipfel endet in offenem Streit Turbulenzen in Samara
"Aufgehäufte Probleme" hätten auf dem EU-Russland-Gipfel angestanden, räumte Kanzlerin Merkel in Samara ein. Lösungen konnten sie und Präsident Putin dort nicht präsentieren. Stattdessen zeigten sie ganz öffentlich, wie angespannt das Verhältnis zwischen Moskau und Brüssel derzeit ist.
Raketenschild, Denkmalstreit, Fleischlieferungen, Energiesicherheit - immer wieder waren diese Themen im Vorfeld des EU-Russland-Gipfels in Samara als die großen Probleme genannt worden, die es zu klären gebe. Zu vermelden gibt es diesbezüglich nach Abschluss des Treffens wenig. Die EU und Russland wollten ihre strategische Partnerschaft vertiefen, so das Fazit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin. "Es gelingt nicht immer, sich gegenseitig zu überzeugen", sagte die amtierende EU-Ratspräsidentin.
Als großes Thema des Treffens erwies sich unerwartet ein anderes: Auf einer von ungewöhnlicher Heftigkeit geprägten Pressekonferenz brach sich der offensichtlich angestaute Ärger über das russische Demokratieverständnis und die Ausgrenzung des EU-Mitglieds Polens durch Moskau Bahn. Merkel äußerte sich dabei "besorgt", dass Oppositionsführer gehindert worden seien, zu einer in der Wolgastadt geplanten Demonstration zu kommen. Sie hoffe, dass diejenigen, die in Samara ihre Meinung äußern wollten, dies auch tun könnte, sagte Merkel weiter.
Ein direkter Verweis auf den Fall des ehemaligen Schachweltmeisters und Oppositionsführers Garri Kasparow, der am Morgen ebenso wie der Autor Eduard Limonow, der Menschenrechtler Lew Ponomarjow und andere Regierungskritiker am Flughafen in Moskau festgehalten worden waren.
Putin: Nichts anderes als in Hamburg
Putin entgegnete, ihn störten Demonstrationen nicht, sie müssten aber im Rahmen der Gesetze bleiben. Die Regierungsgegner legten es vielfach darauf an, die Sicherheitskräfte zu provozieren, die nur reagierten. Zugleich verteidigte Putin das Recht der Behörden, präventiv tätig zu werden. Solche Maßnahmen würden schließlich auch in anderen Ländern angewandt, sagte Putin in Anspielung auf die Razzien gegen G8-Gipfel-Gegner in Deutschland. Merkel antwortete wiederum, sie habe jedes Verständnis für die Festnahme von Gewalttätern. "Aber wenn jemand nichts gemacht hat, sondern nur auf dem Weg zu einer Demonstration ist, ist das aus meiner Sicht nochmal eine andere Sache", fügte sie hinzu.
Putin: Lassen uns nicht an den Pranger stellen
Emotional reagierte Putin auch auf Nachfragen nach den Morden an der Journalistin Anna Politkowskaja und dem Ex-Spion Alexander Litwinenko und wie sich diese mit dem Wunsch nach einer strategischen Partnerschaft mit der EU verbinde. Er sagte, die Morde seien Sache der Justiz. Die Partnerschaft mit den USA wolle auch niemand in Europa in Frage stellen, obwohl es dort die Probleme Guantanamo und Todesstrafe gebe. Russland werde sich nicht an den Pranger stellen lassen.
"Focus"-Korrespondent festgenommen
Der in Moskau festgehaltene Kasparow erklärte in einem Radiointerview, Sicherheitsorgane hätten ihm am Flughafen von Moskau Pass und das Flugticket ohne Begründung "gestohlen". Nach Angaben des Oppositionsbündnisses "Das andere Russland" wurden die Kreml-Kritiker erst wieder freigelassen, als die letzte Maschine nach Samara abgeflogen war. Dem widersprach die Polizei.
An der von "Das andere Russland" organisierten Protestkundgebung in Samara nahmen letztlich ungeachtet der Polizeipräsenz etwa 100 Oppositionsanhänger teil. Im Vorfeld der auf Druck der EU genehmigten Aktion wurden jedoch mehrere Personen vorübergehend festgenommen, darunter auch ein Korrespondent des Magazins "Focus".
Kritik am russischen Vorgehen
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, sprach von einem erneuten Versuch der russischen Polizei, einen Journalisten an der freien und ungehinderten Berichterstattung über eine Demonstration gegen die russische Regierung zu behindern. Die Erklärung der russischen Seite nach der Freilassung, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, klinge unglaubwürdig, betonte Konken.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, sprach angesichts des russischen Vorgehens gegen Oppositionspolitiker von einer ernsten Situation. "Russland testet aus, wie weit die Toleranz des Westens reicht. Wir können das nicht akzeptieren", sagte Nooke der "Frankfurter Rundschau".