Interview

Interview zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan "Konzept ist erfolgreich, aber riskant" (21.05.07)

Stand: 21.05.2007 12:28 Uhr

Trotz des Anschlags von Kundus: Das bisherige Einsatzkonzept der Bundeswehr in Afghanistan ist nach Ansicht von ARD-Korrespondent Heinzle erfolgreich gewesen. Im Gespräch mit tagesschau.de mahnt Heinzle zugleich: Die Isaf muss mehr für den Rückhalt bei der einheimischen Bevölkerung tun.

Abziehen oder anders vorgehen? Nach dem Anschlag auf Bundeswehrsoldaten in der nordafghanischen Stadt Kundus im Mai 2007 ist die Debatte um den Afghanistan-Einsatz neu entflammt. Einige Kritiker stellen erneut die Frage nach dem Sinn des Einsatzes, andere fordern eine neue Strategie. Über die Lage im Land sprach tagesschau.de in Kabul mit dem ARD-Hörfunkkorrespondenten Christoph Heinzle.

tagesschau.de: Gab es Hinweise auf eine steigende Gefahr für die Bundeswehr in Afghanistan?

Christoph Heinzle: Grundsätzlich hat sich die Gefahr für alle ausländischen Truppen in Afghanistan seit Beginn vergangenen Jahres erhöht. Im letzten Jahr waren es 140 Selbstmordattentate, in diesem Jahr sind es schon fast 60. Dass sich ausgerechnet in Kundus die Lage zuspitzt, wurde in den vergangenen Wochen deutlich. Am 16. April gab es dort einen Anschlag auf die afghanische Polizei, außerdem weitere Zwischenfälle, die darauf hinweisen, dass sich dort Extremisten – wahrscheinlich die Taliban – festsetzen. Und für die Taliban und andere bewaffnete Oppositionsgruppen sind die ausländischen Soldaten Ziel Nummer eins.

tagesschau.de: Dabei galt doch der Norden bisher als verhältnismäßig sicher.

Heinzle: Die meisten Selbstmordattentate und andere Anschläge auf ausländische Truppen finden und fanden im Süden und Osten des Landes statt. Aber die Gefahr ist in anderen Gebieten nie auszuschließen gewesen – Kabul war auch immer ein Schwerpunkt. Im Westen und Norden war es ruhiger, aber man braucht nur eine geringe Anzahl von Attentätern, um solche Anschläge durchzuführen. Solche kleinen Extremistenzellen gibt es auch in Gebieten, wo die Taliban nicht so stark sind.

"Konzept der Bundeswehr ist aufgegangen"

tagesschau.de: Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat erklärt, dass die Bundeswehr nicht von ihrer bisherigen Strategie abweichen, sich also auf keinen Fall einigeln, sondern weiter Fußpatrouillen gehen sollte. Wie bewerten Sie das?

Heinzle: Ich halte das grundsätzlich für richtig. Dieses Konzept der Bundeswehr ist im Norden, wo es bisher im Verhältnis zum Süden relativ ruhig ist, gut aufgegangen. Der direkte Kontakt der Soldaten mit der Bevölkerung kommt an und schafft so ein Umfeld von Sicherheit. Aber der Anschlag von Samstag zeigt, dass so auch das Risiko erheblich größer ist, als wenn die Soldaten sich nur in gepanzerten Fahrzeugen bewegen. Und man riskiert auf diese Weise auch die Leben von Zivilisten, die sich in der Nähe von solchen Patrouillen bewegen – am Samstag kamen ja auch sehr viele Afghanen ums Leben. Das muss man also abwägen.

tagesschau.de: In Deutschland fordern einige nun eine neue Strategie für die Bundeswehr. Gibt es Alternativen zum bisherigen Einsatzkonzept?

Heinzle: Ich glaube, diese Frage betrifft eher die Isaf insgesamt als speziell die Bundeswehr. In den letzten Monaten ist die Zahl der Zivilisten massiv gestiegen, die durch Einsätze ausländischer Soldaten in Afghanistan getötet wurden - vor allem der US-geführten Anti-Terror-Koalition, aber auch der Isaf. Diese Zahl muss massiv reduziert werden, sonst verlieren die ausländischen Truppen den Rückhalt in der Bevölkerung. Zum anderen muss man viel stärker die zivile Komponente betonen. Das heißt: Man muss gerade in den unruhigen Gebieten nach Militäroperationen sichtbare Projekte für den Wiederaufbau anstoßen.

"Schwächen beim Aufbau der afghanischen Armee"

tagesschau.de: Ist der Kampf gegen die Taliban militärisch überhaupt zu gewinnen?

Heinzle: Gewinnen ist relativ. Im Süden ist es ja das Ziel der Isaf, die Region soweit zu stabilisieren, dass die afghanische Armee dort übernehmen kann. Deshalb muss der Aufbau der afghanischen Armee vorangetrieben werden, dort gibt es immer noch Schwächen. Wenn die internationalen Truppen nur die Taliban aus einer Region vertreiben und dann weiterziehen wie im vergangenen Jahr, kommen die Taliban wieder und es ändert sich nichts.

tagesschau.de: Die Taliban erstarken, um lokale Drogenbosse haben die ausländischen Truppen bisher eher einen Bogen gemacht: Wie sieht denn die Machtverteilung im Land derzeit tatsächlich aus?

Heinzle: Das ist in jeder Region, jeder Provinz, teilweise in jeder Stadt anders. Diese Gruppen sind auch nicht sauber voneinander zu trennen. Da kann ein Drogenhändler gleichzeitig die Taliban unterstützen, da kann ein Provinzgouverneur gleichzeitig mit Drogen handeln oder in Gesprächen mit den Taliban sein. Der Regierungsapparat ist hoch bestechlich und daher anfällig für kriminielle Aktivitäten. Im Süden gibt es viele Bezirke, in denen die Taliban einen sehr starken Einfluss haben, im Norden gibt es lokale Machthaber mit Privatarmeen und Drogenhändler, die versuchen, sich staatliche Autoritäten und ausländisches Militär vom Hals zu halten.

Die Fragen stellte Fiete Stegers, tagesschau.de

Das Interview führte Christoph Heinzle, NDR