Sudan ''Zehn Euro können Menschenleben retten''
Rot-Kreuz-Mitarbeiter Clemens von Heimendahl war zehn Monate lang in der westsudanesischen Region Darfur. Die Eindrücke, die der DRK-Helfer aus der Krisenregion mitgebracht hat, sind erschreckend: Dörfer werden niedergebrannt, Leute brutal getötet, die Bäuche aufgeschlitzt, Kinder ins Feuer geworfen. "Die Sachen, die wir dort gesehen haben, sind so unglaublich, dass man das hier kaum verstehen kann", sagt von Heimendahl. Tagesschau.de sprach mit ihm, kurz bevor er wieder nach Khartum zurückkehrt.
tagesschau.de: Herr von Heimendahl, Sie waren in allen drei Gebieten der Darfur-Region: im Norden, Süden und Westen. Was haben Sie dort beobachtet? Wie muss man sich die Situation der Menschen vorstellen?
von Heimendahl: Zunächst müssen Sie sich eine Region vorstellen, die ungefähr eineinhalb mal so groß ist wie Deutschland, also in etwa so groß wie Frankreich. Diese Region ist eine relative Wüstengegend. Infrastruktur gibt es so gut wie keine. "Straßen" sind dort Feldwege. Im gesamten Darfur gibt es acht Krankenhäuser, von denen drei zerstört wurden. Im Augenblick sind im Land selbst etwa eine Million Menschen auf der Flucht. Das sind die Binnenflüchtlinge. Dazu kommen ungefähr 150.000 Flüchtlinge, die über die Grenze in den Tschad gewandert sind. Die Kriegshandlungen und Überfälle des nördlichen Darfur haben sich in Richtung Süden erweitert. Es besteht derzeit ein 45-tägiges Friedensabkommen, das zwischen der Regierung in Khartum und den Rebellen ausgehandelt worden ist. Zum Teil greift es, doch leider hören wir immer wieder, dass einzelne Ortschaften überfallen worden sind.
tagesschau.de: Was ist genau der Hintergrund dieser Überfälle?
von Heimendahl: Man muss wissen, dass Darfur erst 1916 in Sudan, das flächenmäßig größte Land Afrikas, eingegliedert wurde. Vorher war Darfur ein Königreich. Dieses Königreich hat Anhänger, es existieren Familienverbindungen. Daher gab es schon immer auch einen Unabhängigkeitsgedanken. Zudem ist die Zentralregierung in Khartum aufgrund der großen Entfernung und der Wüste, die dazwischen liegt, nie wirklich eine große Unterstützung für die Region gewesen. Und zum Dritten gibt es alle möglichen Interessengruppen, die auch noch mitmischen.
tagesschau.de: International wird von "ethnischen Säuberungen" in Darfur gesprochen. Was bedeutet das?
von Heimendahl: Das DRK hat dazu ein klares Statement abgegeben: Derzeit sprechen wir dort nicht von ethnischen Säuberungen. Man muss das anders sehen. Die unterschiedlichen Interessengruppen führen dort äußerst brutal und menschenverachtend ihre Auseinderanderssetzungen. Sie müssen sich das so vorstellen: Nachts kommen Gruppen von 50 bis 1500 Kamelen mit Reitern, sie brennen Ortschaften nieder, Leute werden abgeschlachtet, Bäuche aufgeschlitzt. Die Kinder werfen sie ins Feuer...Was wir dort gesehen haben, ist so unglaublich, das kann man hier einfach gar nicht richtig verstehen.
tagesschau.de: Wie gehen Sie denn mit dem Elend und den Gräueltaten um?
von Heimendahl: Man muss sich auf das Professionelle beschränken, sich überlegen, wie wir es schaffen, die Leute am besten zu unterstützen, ihnen am schnellsten Hilfe zukommen lassen. Hier in Darfur erwarten wir in zwei Wochen die Regenfälle. Ich bin gerade in Südsudan gewesen, wo es bereits regnet. Diese Regenfälle werden zwei Auswirkungen haben: Zum einen werden die Transportwege wesentlich schwieriger befahrbar sein, und zum anderen rechnen wir mit dem Ausbruch von Seuchen wie Cholera, Malaria. Dabei ist die Hilfe, die dort benötigt wird und die ein jeder geben kann, so einfach. Mit zehn Euro sind Sie dazu in der Lage, eine Familie für einen Monat lang mit Medikamenten zu versorgen; Medikamente, die sie davor bewahrt, dass sie durch Malaria oder eine von den Seuchen umkommt.
tagesschau.de: Das Problem ist doch aber auch, dass die Regierung in Khartum den Hilfsorganisationen den Zutritt verweigert.
von Heimendahl: Ich denke, dass das nur zum Teil so ist. Wir vom Deutschen Roten Kreuz sind seit letztem Jahr in Darfur aktiv. Wir haben bis jetzt keine Beschränkung in der Form gehabt, dass wir nicht irgendwo hätten verteilen können. Und auf der anderen Seite arbeiten wir mit dem sudanesischen Roten Halbmond zusammen.
tagessschau.de: Aus den Flüchtlingscamps in der Grenzregion zum Tschad haben Korrespondenten inzwischen berichtet. Über die Camps der Binnenflüchtlinge in Darfur weiß man so gut wie nichts. Wie sieht die Situation der Menschen dort aus?
von Heimendahl: Es gibt zwei verschiedene Arten von Flüchtlingen: Diejenigen, die sich in Camps geflüchtet haben, und die Menschen, die unter Bäumen leben. In den Flüchtlingscamps sind zum Teil Plastikplanen und Decken verteilt worden. Bis dahin haben die Leute unter Zweigen gelebt. Die Familien, die unter Bäumen leben, haben nichts. Es gibt auch Leute, die dermaßen traumatisiert sind, dass sie überhaupt nicht wissen, was sie jetzt tun sollen. Wir haben hunderte von Kindern, die zu Waisen geworden sind.
tagesschau.de: Haben die Menschen denn etwas zum Essen?
von Heimendahl: Die Leute in den Flüchtlingscamps sind wahrscheinlich am besten bedient, dadurch dass das World-Food-Programm der UNO dort Lebensmittel verteilt. Diejenigen, die auf dem Land geblieben sind, wenn man das so ausdrücken will, ernähren sich im Augenblick von Wurzeln, von Gräsern. Ein paar Leute haben jetzt angefangen, die Felder vorzubereiten, da ja die Regenzeit anfängt. Im Augenblick fängt die Pflanzzeit an. Vorräte gibt es so gut wie keine mehr. Das, was es gab, ist bei den Überfällen den Leuten abgenommen worden. Und natürlich haben sie überall Unterernährung. Es gibt Kinder mit orangenen Haaren. Wenn man ein schwarzes Kind mit orangenen Haaren und einem aufgeblähten Bauch sieht, dann ist klar, dass dieses Kind an stärkster Unterernährung leidet.
Was wir brauchen, ist Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft, von Menschen, die sagen, diese Leute wollen wir unterstützen, damit es ihnen nach diesen Gräueltaten, die dort passiert sind, auch wieder ein bisschen besser geht - damit sie überleben können.
Das Gespräch führte Britta Scholtys, tagesschau.de