Erleichterung über Gipfelkompromiss Kein Veto - kein Schwarzer Peter
Wem ist der erfolgreiche Gipfelabschluss zu verdanken? Der Kompromissbereitschaft der Polen oder der EU-Ratspräsidentin? Und welcher Zwilling war der Chefunterhändler? Die Meinungen darüber sind in Polen zwar geteilt, aber die Freude über das Ergebnis ist einhellig.
Von Thomas Rautenberg,ARD-Hörfunkstudio Warschau
Auch in Polen herrscht Erleichterung nach dem nächtlichen Gipfel-Kompromiss. "Polen hat nicht Nein gesagt“, titelt die linksliberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Und die konservative "Rzeczpospolita“ beschreibt den europäischen Verhandlungsmarathon mit den Worten “Horror, Kompromiss und wieder Horror“.
Wer verhandelte und wer war kompromissbereit?
Polens Vizeaußenminister Pawel Kowal wertete die Brüssler Übereinkunft als ein Ergebnis vor allem der eigenen Kompromissbereitschaft: "Ich denke, dass jeder in Europa verstehen wird, dass dieses Ergebnis ein Erfolg der polnischen Verhandlungsführer ist."
Wer allerdings der wirkliche polnischer Chefverhandler bei den Gipfel-Gesprächen war, ließ auch Kowal offen. Denn während Präsident Lech Kaczynski in Brüssel unter vier Augen noch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel um einen Kompromiss feilschte, erklärte Kaczynskis Zwillingsbruder und Premier, Jaroslaw, in Warschau die Gespräche kurzzeitig für gescheitert.
Ein machtpolitischer Offenbarungseid der polnischen Führung nicht nur in den Augen der liberal-konservativen Opposition. Dass es dennoch zu einem Kompromiss gekommen ist, sei vor allem ein Verdienst der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, meinte der europapolitische Experte der liberal-konservativen Opposition Grzegorz Schetyna: "Die Deutschen haben tatsächlich alles unternommen, um einen Kompromiss zu ermöglichen. Und für sie war es sehr wichtig, dass auch Polen schließlich zugestimmt hat.
Die polnische Öffentlichkeit reagierte erleichtert, dass Präsident Lech Kaczynski die Veto-Karte nicht gezogen hat. In einer Umfrage hatte sich zuvor über 60 Prozent der polnischen Bevölkerung gegen eine Blockade des europäischen Reformprozesses ausgesprochen.
Keine Sieger und keine Verlierer
Jeder wird bei sich zu Hause das Ergebnis des Gipfels als großen Erfolg verkaufen, ist der polnische Politologe Marek Sarjusz-Wolski überzeugt: "So ist es immer Sitte gewesen in Europa. Für mich ist es aber das Wichtigste, dass sich keiner beleidigt fühlt, dass es keine Verlierer oder Sieger gibt. Aber es muss die Frage gestattet sein, warum Polen die Atmosphäre in Europa wochenlang vor dem Gipfel so verdorben hat? Hatte es wirklich Sinn, das Bild Polens in Europa so kaputt zu machen, um letztlich dieses Ergebnis zu erreichen?"