Weg für EU-Grundlagenvertrag frei Nach 36 Stunden zufrieden am Ziel
Eineinhalb Tage lang war in Brüssel verhandelt worden, am frühen Morgen konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel dann den Durchbruch verkünden: "Wir haben erreicht was wir wollten", sagte die EU-Ratspräsidentin vor der versammelten Presse. Die EU sei aus dem "Stillstand herausgekommen", die nun vorliegende Einigung ein "Gemeinschaftswerk".
Von Michael Becker, MDR -Hörfunkstudio Brüssel
Alle sahen müde aus, als sie morgens gegen halb fünf vor die Presse traten - nach 36 Stunden Verhandlungsmarathon. Auch an Angela Merkel war die Nacht auf Samstag nicht spurlos vorüber gegangen. Trotzdem: Nachdem der Durchbruch gelungen war, war die EU-Ratspräsidentin mit dem Ergebnis zufrieden: "Das was für mich zählt ist, dass wir aus dem Stillstand herausgekommen sind“, sagte Merkel, "und dass wir die Weichen für einen neuen Vertrag gestellt haben“.
Auf Spitz und Knopf um Mitternacht
Dabei sah es zwischenzeitlich gar nicht gut aus für Merkels Präsidentschaftskür: der Gipfel drohte gegen Mitternacht zu scheitern. Polen stellte sich quer und Merkel riss der Geduldsfaden. Die Polen bestanden darauf, bei Abstimmungen in Brüssel mehr Gewicht zu bekommen als der Reformvertrag vorsieht. Die Regierung in Warschau drohte mit einem Veto, sollte Polen beim Stimmengewicht in der EU nicht besser gestellt werden.
Ein Kompromissvorschlag Merkels wurde vom polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski in Warschau vor laufenden Kameras als unzureichend abgelehnt - nachdem Merkel stundenlang mit seinem Zwillingsbruder, dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in Brüssel verhandelt hatte. Erst als Merkel drohte, einfach ohne die Polen weiter zu machen, kam Bewegung in die Sache.
Unterstützung bekam sie vom britischen Premierminister Tony Blair und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy - beide begannen, massiv auf die Kaczynski-Zwillinge einzuwirken. "Ich denke dass es unmöglich ist, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, das größte Land in Osteuropa nicht mit ins Boot zu holen", sagte Sarkozy.
Auch London musste Zugeständnisse machen
Am Ende stand ein Kompromiss, der die Polen zufrieden stellte: Erst 2014 und nicht schon 2009 wird in der EU so abgestimmt, wie im Reform-Vertrag vorgesehen. So lange noch bleibt es bei dem System, das die Polen deutlich besser stellt. Tatsächlich spielt das Stimmengewicht in Brüssel gar keine Rolle - es ging vor allem um Symbolik, aber für die Polen kam es genau darauf an.
Auch an Großbritannien musste Merkel Zugeständnisse machen - vor allem beim europäischen Außenminister. Den soll es zwar geben, aber er soll nicht so heißen - Premierminister Tony Blair befürchtete, die britische Außenpolitik könnte dann ans Gängelband genommen werden. Am Ende war auch Blair zufrieden: "Ich denke dieser Gipfel ist ein Beweis dafür, dass Europa weiter voranschreiten will".
Für Angela Merkel war der EU-Gipfel der Schlussakkord für die deutsche EU-Präsidentschaft. Von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso gab es Blumen und Komplimente: "Sie und ihre Mitarbeiter haben einen Erfolg errungen, den viele vor Monaten noch für unmöglich gehalten hätten".
Mit dem Reformvertrag wird ein neues Abstimmungsverfahren im EU-Ministerrat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, eingeführt - und damit ein Kernpunkt der von Frankreich und den Niederlanden abgelehnten EU-Verfassung aufgenommen.
Für Beschlüsse soll eine "doppelte Mehrheit" nötig sein: Die Stimmen von mindestens 55 Prozent der Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Ziel ist, einen Ausgleich zwischen bevölkerungsreichen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und den kleinen wie Dänemark, Irland oder Malta zu schaffen. Das mittelgroße Polen hatte dem Vertragsentwurf ursprünglich zwar zugestimmt, sah sich danach jedoch benachteiligt. Polen verlangte zwischenzeitlich eine "Quadratwurzel"-Regelung. Dabei wird das Stimmrecht eines Landes ermittelt, indem die Wurzel aus seiner Bevölkerungszahl gezogen wird.
Die 27 EU-Länder einigten sich beim Gipfel nach langen Verhandlungen darauf, das Abstimmungsverfahren der doppelten Mehrheit ab 2014 mit einer Übergangzeit bis 2017 einzuführen.