Interview

Interview zum Konflikt um die Rote Moschee "Muscharraf kommt an den Islamisten nicht vorbei"

Stand: 06.07.2007 17:54 Uhr

Seit Tagen werden bewaffnete Koranschüler auf dem Gelände der Roten Moschee in Islamabad von Sicherheitskräften belagert. Zeigt der Konflikt, dass islamistische Kräfte in Pakistan auf dem Vormarsch sind? Darüber sprach tagesschau.de mit ARD-Hörfunkkorrespondent Christoph Heinzle.

Seit Tagen werden bewaffnete Koranschüler auf dem Gelände der Roten Moschee in Islamabad von Sicherheitskräften belagert. Zeigt der Konflikt, dass islamistische Kräfte in Pakistan auf dem Vormarsch sind? Darüber sprach tagesschau.de mit dem ARD-Hörfunkkorrespondenten in Südasien, Christoph Heinzle.

tagesschau.de: Herr Heinzle, in der Koranschule der Roten Moschee wird seit Jahren islamistischer Fundamentalismus gepredigt. Warum eskaliert die Situation gerade jetzt?

Heinzle: Die Eskalation begann schon Anfang des Jahres. Damals ging es um Baugenehmigungen für Moscheen und Koranschulen. Die Regierung wollte gegen illegale Bauten vorgehen, die Schüler und die geistliche Führung der Roten Moschee haben dagegen protestiert. Als nächstes ging es um die strikten Moralvorstellungen der Koranschule, die das islamische Recht der Scharia in extremer Auslegung auch für Pakistan durchsetzen wollte. Danach kam es zu Geiselnahmen von Prostituierten auf dem Schulgelände. Die Gewalt eskalierte endgültig, als offenbar bewaffnete militante Islamisten ihr Lager in der Moschee aufgeschlagen haben. Jetzt können beide Seiten aus dieser Situation nicht mehr heraus.

tagesschau.de: Es gibt in Pakistan mehrere Tausend Koranschulen. Sind sie alle Brutstätten des Terrors?

Heinzle: Nein, absolut nicht. In Pakistan ist das System der Madrassas, also der Koranschulen, ein ganz wichtiger Teil der islamisch geprägten Ausbildung. Die Schulen wollen größtenteils künftige Geistliche, auf jeden Fall aber auch einfache gläubige Moslems ausbilden. Das ist an sich nichts Schlimmes in einer islamischen Republik. Die Madrassas füllen Lücken, die das staatliche Schulsystem lässt. Radikal ist sicherlich nur ein sehr kleiner Teil der Schulen. Aber da in den einzelnen Madrassas bis zu zehntausend Schüler ausgebildet werden, ist es natürlich ein Problem, wenn eine Schule auf der Seite der Taliban steht wie etwa die Schule der Roten Moschee in Islamabad.

Präsident Muscharraf versucht einen Drahtseilakt

tagesschau.de: Wie viel Einfluss haben die radikalislamischen Koranschulen in Pakistan?

Heinzle: Sie sind Teil einer ganzen radikalislamischen Szene. Die Schulen sind wichtig, weil sie junge Menschen ausbilden und indoktrinieren, die nachher an unterschiedlichsten Orten im ganzen Land wirken. Zur Szene gehören aber auch radikalislamische Parteien, die sich in einem großen Oppositionsbündnis gesammelt haben. Diese Parteien werden immer wieder von Präsident Muscharraf gebraucht, um in einzelnen politischen Fragen Mehrheiten zu bekommen. Sie sind eine Macht, an der Muscharraf nicht komplett vorbeikommt. Deshalb hat er sich wohl auch in den vergangenen Jahren so schwer getan, gegen die Koranschulen und gegen die radikalislamischen Politiker vorzugehen.

tagesschau.de: Offiziell ist Muscharraf enger Verbündeter der USA im Anti-Terror-Krieg. Auf der anderen Seite gibt es Kontakte zwischen ihm und den radikalen Islamisten. Kann das auf die Dauer gut gehen?

Heinzle: Das ist die spannende Frage. Muscharrafs Drahtseilakt dauert an, seitdem er an der Macht ist, besonders aber seit den Anschlägen des 11. September 2001. Er hat wechselweise allen Seiten immer wieder Zugeständnisse gemacht. Einmal versucht er, dem Westen zu gefallen, und geht zum Beispiel massiv gegen die Taliban im Grenzgebiet zu Afghanistan vor. Dann wieder schwenkt er mit islamistischen Anklängen in die andere Richtung. Damit kam er jahrelang relativ gut durch, doch jetzt stürzt das ganze Gebäude zumindest ein Stück weit zusammen: Die radikalen Islamisten sind im offenen Konflikt mit Muscharraf. Die demokratische Opposition protestiert dagegen, dass Muscharraf zu viel Macht auf sich vereint. Der Westen übt ständigen Druck auf ihn aus, im Anti-Terror-Kampf mehr zu tun und vor allem entschlossener gegen die Taliban vorzugehen.

Belagerung und Nervenkrieg werden andauern

tagesschau.de: Stärkt das Vorgehen gegen die Rote Moschee Muscharrafs unsichere Position?

Heinzle: Das kommt darauf an, wie es endet. Wenn er das Ganze halbwegs friedlich mit wenigen zusätzlichen Opfern beendet, könnte ihm das zugute geschrieben werden, denn die Öffentlichkeit scheint seine neuerdings harte Linie gegen die Moschee und die Koranschule zu unterstützen. Sollte das Ganze allerdings in einem Blutbad enden, bleibt abzuwarten, wie die Radikalislamisten in anderen Landesteilen darauf reagieren und ob es Massendemonstrationen gegen Muscharraf oder möglicherweise eine Zunahme von Anschlägen gibt. Das könnte durchaus gefährlich für ihn werden. Deshalb hat er sich bislang zurückgehalten und die angekündigte Erstürmung immer wieder verschoben.

tagesschau.de: Wie wird die Belagerung Ihrer Meinung nach enden?

Heinzle: Ich denke, dass wir noch einige Zeit an Belagerung und Nervenkrieg sehen werden. Dann wird es möglicherweise eine Lösung geben, bei der die Belagerten ihr Gesicht wahren können, die Regierung allerdings als Sieger hervorgeht. Das ist zumindest meine Hoffnung und die wahrscheinlichere der beiden Optionen. Ein blutiges Ende ist aber auch nicht hundertprozentig ausgeschlossen.

Das Gespräch führte Sven Trösch für tagesschau.de