Berlin übernimmt EU-Ratspräsidentschaft In Merkel werden große Hoffnungen gesetzt
Ganz oben auf der Agenda von Kanzlerin Merkel steht die EU-Verfassung - denn die verstaubt in den Schubladen. Das will Merkel ändern. Ob es ihr gelingt, der Verfassung wieder Leben einzuhauchen, gilt als entscheidend für den Erfolg der Kanzlerin.
Irmtraud Richardson, SWR-BR-MDR-Studio Brüssel
Rund 70 Prozent der Deutschen erwarten viel von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vorsitzende im EU-Ministerrat. Und die europäischen Partner setzen ebenfalls große Hoffnungen auf die sechs Monate deutscher Ratspräsidentschaft. Wäre die Bundeskanzlerin nicht so stabil, sie könnte fast erdrückt werden von all diesen Erwartungen, all diesen Hoffnungen. Doch Angela Merkel ist zuversichtlich. Skeptisch an die Sache ranzugehen, das würde nichts bringen. Sie will den Menschen beweisen, dass Europapolitik Freude bringen kann.
Priorität hat die EU-Verfassung
Was nun soll die Bundeskanzlerin alles bewerkstelligen? An oberster Stelle der Prioritätenliste in Berlin steht die künftige EU-Verfassung. Sie verstaubt in den Schubladen, nach dem Nein der Niederländer und Franzosen im Mai 2005. An ein Inkrafttreten ist derzeit überhaupt nicht zu denken. Das will die Bundeskanzlerin ändern. Es wäre ein historisches Versäumnis, wenn die EU es nicht schafft, bis zur nächsten Europawahl im Jahre 2009 den Verfassungsprozess wieder in Gang zu bringen.
Von der deutschen Ratspräsidentschaft wird erwartet, dass sie den Weg nach vorn weist. Den Fahrplan entwirft. Aufzeigt, in welchen Etappen das Ziel erreicht werden kann. Wenn ihr das gelingt, wenn Merkel es schafft, der Debatte über einen EU-Verfassungsvertrag wieder Leben einzuhauchen, dann ist viel gewonnnen.
Energie und Klimaschutz
Doch es gibt noch andere politische Herausforderungen für die deutsche EU-Präsidentschaft: Sicherheit bei der Energieversorgung, da spielen die Beziehungen zwischen der EU und Russland eine wichtige Rolle. Die Deutschen wollen erreichen, dass so schnell wie möglich ein neues Partnerschaftsabkommen zwischen Russland und der EU verabschiedet wird. Besserer Klimaschutz, da müssen sich die Deutschen nach der jüngsten Ermahnung aus Brüssel ein bisschen stärker als bisher selber in die Pflicht nehmen.
Nahost, Atomstreit und Afghanistan
Auch im Bereich der Außenpolitik ist die deutsche Präsidentschaft sehr gefordert, denn die Liste der Konflikte ist lang: Nahostkrise, Atomstreit mit dem Iran, Zukunft des Kosovo, die Lage in Afghanistan. Da gilt es zu verhandeln, zu vermitteln, nach Lösungen zu suchen. Die Bundeskanzlerin warnt vor allzu großen Erwartungen an die deutsche EU-Präsidentschaft: Deutschland kennt seine Möglichkeiten, aber auch seine Grenzen. Allein aus diesem Grund dürfte in Berlin die Erleichterung darüber groß sein, dass im aktuellen Streit um die Türkei noch unter finnischem Vorsitz ein Kompromiss gefunden werden konnte. Die Einigung der 25 in dieser Frage ist ein gutes Omen für die kommenden sechs Monate.