Reportage aus Nordkorea Alltag im Ausnahmezustand
Der letzte Eiserne Vorhang der Welt trennt die beiden koreanischen Staaten. ARD-Korrespondent Mario Schmidt berichtet über das Leben und Arbeiten an der Grenze, Propagandamittel und schmerzhafte Trennungen.
Von ARD-Korrespondent Mario Schmidt
Als Herr Kim Kyoung-san junger Soldat war, lag sein Land in Trümmern. Heute am Gedenktag betet der 75-Jährige für seine gefallenen Kameraden. Auf den Tüchern vor ihm sind Wünsche nach Frieden und Wiedervereinigung zu lesen. Wir sind am letzten Eisernen Vorhang der Welt, in Südkorea, an der Grenze zu Nordkorea.
Dort treffen wir auf Kim Kyoung-san. "Unsere Kämpfe gegen die Nordkoreaner und Chinesen waren unerbittlich bis zum Schluss. Wir hatten nichts mehr zu essen, kaum noch Munition. Dann kam der Waffenstillstand", sagt der Kriegsveteran. "Ich hätte damals nie gedacht, dass wir auch nach 50 Jahre noch keinen Frieden haben würden."
Arbeiten im Grenzbereich
Alltag im Ausnahmezustand. Südkoreanische Soldaten auf Grenzpatrouille. Hinter 250 Kilometern Stacheldraht beginnt die entmilitarisierte Zone: Vier Kilometer breit, vermint, ein Puffer zwischen den hochgerüsteten Armeen.
Wir sind bei jungen Rekruten an der Ostküste auf einem Beobachtungsposten. Von dort haben sie einen Panoramablick auf das von der Außenwelt isolierte Nordkorea. Viele von ihnen sehen das stalinistische Land zum erstenmal nicht im Fernsehen.
"Unser Gegner hört und sieht uns jetzt gerade", beginnt der Ausbilder. Sein Kameramann zoomt die Grenzlinien auf die Monitore. Der Soldat des Diktators Kim Jong Il macht aber gerade Mittagspause. Bedrohlicher sind die in den Bergen versteckten Stellungen. Einige tausend von ihnen zielen Richtung Süden. Die Kanonen schweigen, dafür beginnt die Propagandaschlacht per Lautsprecher. Südkoreanische Erfolgsmeldungen dringen ungehindert ein ins Nachbarland. Prompt die Gegenoffensive: Zehn bis 14 Stunden geht das so - Tag für Tag.
Ein südkoreanischer Soldat sagt: "Die Nordkoreaner senden patriotische Lieder und Nachrichten, aber recht leise heute, vermutlich haben sie wieder Stromprobleme." Was die Beschallung denn bezwecken soll, wollen wir wissen, doch das kann er uns nicht sagen.
In Hörweite der Lautsprecher bauen Nordkoreaner eine Bahnlinie und eine Straße. Die Südkoreaner kommen ihnen entgegen. Es geht also miteinander. Wirtschaftshilfe, Familienzusammenführungen und sogar etwas Tourismus könnten schon bald hierüber laufen. Normaler Grenzverkehr jedoch scheint Jahrzehnte entfernt.
Auge in Auge mit dem Nachbarn
Wir verlassen die Ostküste und fahren hinein in die entmilitarisierte Zone. Nach zahlreichen Kontrollen erreichen wir Panmunjom, wo der wohl sensibelste Waffenstillstand der Welt überwacht wird. Nur hier können sich die Kontrahenten direkt in die Augen schauen. Der nordkoreanische Soldat, der gerade Dienst hat, sieht aus wie versteinert.
Neutrale Beobachter aus der Schweiz und Schweden protokollieren hier jede Verletzungen des Abkommens, bewacht von 400 amerikanischen und südkoreanischen Soldaten. Ein amerikanischer Soldat berichtet: "Früher haben auch die Nordkoreaner an Besprechungen teilgenommen, jetzt haben sie ein altes sowjetisches Telefon und vor allem ein Fax, darüber läuft nun die Kommunikation."
Während die Nordkoreaner gegen ihre undichten Dächer kämpfen, lassen die Südkoreaner die Grenzlinie keine Minute aus den Augen. Große Politik wird hier nicht mehr gemacht. Panmunjom ist vor allem ein Symbol: Trotz aller Spannungen ist das Waffenstillstandsabkommen noch in Kraft.
Leben mit der Angst und mit Soldaten
Die einzigen Zivilisten in der entmilitarisierten Zone treffen wir in einem Laden einige hundert Meter entfernt. Ein Dorf mit 240 Einwohnern, vor allem Reisbauern, die vom Staat hoch subventioniert werden. Beschützt von Soldaten sollen sie ein normales Leben führen, trotz Ausgangssperre ab 23 Uhr. Früher wurden Menschen hier von Nordkoreanern entführt. Eine Bewohnerin erzählt: "Als ich 1973 hierher zog, dachte ich bei jedem Knacken, jetzt kommen die Nordkoreaner. Heute ist das Leben sicherer, aber nah am Zaun bleibt es gruselig."
100 Meter über dem Dorf weht eine südkoreanische Flagge. Da auch die Nordkoreaner ein Propagandadorf haben, hissten sie prompt eine eigene. Den Flaggenkrieg haben die Nordkoreaner gewonnen: Ihre ist 160 Meter hoch. Das ist Weltrekord. Ihr Dorf allerdings ist unbewohnt, ein paar Soldaten gibt es, aber Zivilisten soll der Blick auf die schöneren Häuser in Südkorea wohl erspart bleiben.
Am Ende treffen wir noch einmal Herrn Kim Kyoung-san. Der Krieg hat ihn von seiner Familie im Norden getrennt, wie Millionen andere Koreaner auch. Seit 50 Jahren kein Lebenszeichen. Selbst Briefe schaffen es nicht über die Grenze. "Nach dem Krieg dachte ich, ich könnte meine Eltern bald wiedersehen. Jetzt sind sie sicher längst gestorben. Ob meine Brüder noch leben, weiß ich nicht und werde es wohl nie erfahren", erzählt er. Ihm bleibe nur noch der Stolz, sagt er zum Abschied, damals als Soldat gegen die Kommunisten gekämpft zu haben.