Interview mit Uwe Halbach "Jung, demokratisch und pro-westlich"
Ohne Blutvergießen ist Präsident Eduard Schewardnadse in Georgien gestürzt worden. Doch auch nach dem Machtwechsel bleibt Georgien politisch instabil. Im Gespräch mit tagesschau.de nennt der Kaukasus-Experte Dr. Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik die bisherige Opposition demokratisch und pro-westlich. Allerdings müsse sie unbedingt auf ein pragmatisches Verhältnis zu Russland achten.
tagesschau.de: Die Opposition in Georgien hat den Präsidenten gestürzt. Wie einig ist sie sich darüber hinaus?
Uwe Halbach: Vor den Wahlen vermittelte die Opposition nicht den Eindruck großer Einigkeit. Es gab die verschiedensten Nuancen in der Opposition – eine relativ populistische Position Michail Saakaschwilis, eine moderatere Position bei Nino Burdschanadse und Surab Schwania und dann gab es einige Parteien, die rein formal als Oppositionsparteien galten, weil sie nicht dem Regierungslager angehörten. Nach den Wahlen hat sich dann in der Empörung über die Wahlfälschungen eine gewisse Einigkeit zwischen Saakaschwili, Burdschanadse und Schwania ergeben, also zwischen den demokratischen, pro-westlichen Flügeln der Opposition. Es ist schwer zu sagen, wie weit das hält. Im Moment gibt es eine Empfindung der Einigkeit, eine Empfindung der gemeinsamen Sache.
tagesschau.de: Russland hat stets betont, man halte sich aus der georgischen Innenpolitik heraus. War der Kreml tatsächlich neutral?
Halbach: In der Vergangenheit sicherlich nicht. Zwischen Georgien und Russland herrschte das am meisten gespannte zwischenstaatliche Verhältnis im zwischenstaatlichen Raum. Russland hat sich zu Beginn der neunziger Jahre massiv in die innerstaalichen Angelegenheiten Georgiens eingemischt, indem es zum Beispiel Sezessionsbestrebungen in Abchasien unterstützt hat, später hat es sich mit Unterstützung Schewardnadses wieder stark eingemischt. Neutral war das Verhältnis also bislang nicht. Aber Russland hat in den Verhandlungen nach der Parlamentswahl sichtlich Wert darauf gelegt, dass keine Gewalt ausbricht.
USA und Russland wollen Bürgerkrieg vermeiden
tagesschau.de: Auch die USA haben beträchtliche Interessen in Georgien – man denke etwa an den Transport kaspischen Öls durch das Land. Werden hier die Karten neu gemischt?
Halbach: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass beide Akteure ein Interesse daran haben, dass in Georgien nicht wieder in Bürgerkrieg und große politische Turbulenzen zurückfällt. Im gesamten kaspischen Raum herrscht im Verhältnis zwischen den USA und Russland ein Gemisch aus Konkurrenz und Kooperation. Die Gegensätze sind manchmal etwas übertrieben dargestellt worden. Es gibt aber gemeinsame Interessen – dazu gehört jetzt auch, dass dieses Land nicht wieder in größte Instabilität zurückfällt.
tagesschau.de: Haben Saakaschwili und Burdschanadse erkennen lassen, welches Verhältnis sie zu Russland anstreben?
Halbach: Dieses Spektrum der Opposition galt immer als jung, demokratisch und pro-westlich. Was die Ausrichtung nach Westen betrifft, stehen ihre Namen für Kontinuität, möglicherweise sogar noch für eine Verstärkung. Man hat Schewardnadse zuletzt verdächtigt, zu eng mit Russland zusammenzuarbeiten. Um nur einen Punkt zu nennen: Schon vor der Wahl erregte etwa die Energieversorgung die Gemüter. Sie wurde in die Hände russischer Firmen wie Gasprom und UES gelegt.
Balanceakt zwischen den Mächten
tagesschau.de: Engt das den Spielraum der kommenden Regierung nicht automatisch ein?
Halbach: Jede Regierung in der Region muss einen Balanceakt zwischen einer Westorientierung und einem pragmatischen Verhältnis zu Russland im Auge haben. In Georgien gab es häufig einen zu starken anti-russischen Unterton. Das war verständlich, wenn man bedenkt, wie Russland mit Georgien umgegangen ist. Andere Staaten wie etwa das Nachbarland Aserbaidschan haben da eine ausgesprochen ausbalancierte Politik praktiziert.
tagesschau.de: Könnte das Machtvakuum in Georgien separatistische Tendenzen fördern?
Halbach: Die separatistischen Tendenzen haben sich seit der Loslösung Georgiens von der Sowjetunion entfaltet. Georgien ist heute Territorialmosaik mit vielen zentrifugalen Tendenzen, kein ordentliches, staatliches Hoheitsgebiet. Derzeit ist vor allem die Region Adscharien ein Problem. Dieses Gebiet hat zuletzt einen überproportionalen Einfluss auf die Innenpolitik gewonnen. Gouverneur Aslan Abaschidse wurde zu einem Verbündeten Schewardnadses, machte sich anheischig, seinen Anspruch auf Einfluss mit gewissen Sezessionsdrohungen zu untermauern. Das könnte zu einem Problem werden, denn Abaschidse hat sich zuletzt klar gegen eine Zusammenarbeit Schewardnadses mit der Opposition ausgesprochen.
Von Korruption durchdrungen
tagesschau.de: Die Opposition gibt sich als wackerer Kämpfer gegen Korruption. Wie sehr darf man dem glauben?
Halbach: Einige Politiker der Opposition waren schon unter Schewardnadse in der Administration, waren gewissermaßen seine Zöglinge. Sie waren schon in der Administration, als Wahlen organisiert wurden, die noch stärker als die jüngsten Parlamentswahlen manipuliert wurden. Unter ihnen hat sich Saakaschwili in seiner Amtszeit als Justizminister als Kämpfer gegen Korruption profiliert. Saakaschwili kämpft also schon seit einiger Zeit gegen diese Erscheinung. Das Problem ist aber, dass die Korruption in Georgien die Gesellschaft tief durchdrungen und Wurzeln geschlagen hat. Die Korruption beginnt auf der Straße, wo Verkehrspolizisten sich wie moderne Raubritter aufführen. Der Kampf gegen Korruption ist eine Unternehmung, die weit mehr bedeutet als die Absetzung von Präsident Schewardnadse oder die politische Marginalisierung einiger anrüchig gewordener Politiker. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Unternehmen, das sehr viel Kraft erfordern wird.
Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de