Interview

Gewalt gegen Schwule und Lesben bei CSD-Paraden "Homophobie wird wieder salonfähig"

Stand: 30.06.2008 15:46 Uhr

In Berlin haben Schwule und Lesben am Wochenende fröhlich gefeiert. In Sofia und in Brünn wurden sie bedroht und mit Tränengas angegriffen. Warum werden Homosexuelle in Osteuropa so stark angefeindet? Und ist im Westen wirklich alles rosig? tagesschau.de hat nachgefragt.

In Berlin haben Schwule und Lesben am Wochenende fröhlich den "Christopher Street Day" (CSD) gefeiert. In Sofia und im tschechischen Brünn wurden sie bedroht und mit Tränengas angegriffen. Woran liegt es, dass Homosexuelle in Osteuropa so stark angefeindet werden? Und ist im Westen wirklich alles rosig? tagesschau.de hat darüber mit Klaus Jetz, dem Geschäftsführer Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) gesprochen.

tagesschau.de: In Tschechien und Bulgarien wurden Teilnehmer von CSD-Paraden mit Tränengas angegriffen, die Veranstalter erhielten teilweise Morddrohungen. Sind das Einzelfälle oder ist eher besonders krasse Beispiele für das, was Schwule und Lesben dort jeden Tag erleben?

Klaus Jetz: Das ist in den vergangenen Jahren in Osteuropa häufiger vorgekommen. Es sind auch Demonstrationen von Homosexuellen verboten worden. Lesben- und Schwulenfeindlichkeit ist in Osteuropa wesentlich weiter verbreitet als in Westeuropa. Das sah kurz nach der Wende auch mal anders aus. Anfang der 90er Jahre gab es eine Aufbruchstimmung, von der auch Schwule und Lesben profitiert haben. Das hat sich mittlerweile aber ziemlich verändert.

tagesschau.de: Woran liegt das?

Jetz: In Osteuropa gibt es einen zum Teil ziemlich wilden Kapitalismus mit vielen sozialen Problemen. Es gibt unheimlich reiche Leute und es gibt sehr viele sehr Arme. In solchen Situationen wächst oft der Hass auf Minderheiten. Hinzu kommt, dass die Kirchen in Osteuropa einen größeren Einfluss haben. In Polen äußern sich Vertreter der katholischen Kirche sehr oft abfällig über Homosexuelle. Ähnlich sieht es in Russland mit der Orthodoxen Kirche aus. Wenn religiöse Fundamentalisten eine starke Meinungsmacht haben, färbt das immer auch auf die breite Bevölkerung ab.

"Die Polizei muss für Schutz sorgen"

tagesschau.de: Wie ist denn die rechtliche Lage von Schwulen und Lesben in Osteuropa?

Jetz: Die Themen gleiche Rechte für Homosexuelle und "Homo-Ehe" werden in den Ländern Osteuropas durchaus diskutiert - zumindest in denen, die zur EU gehören. In Tschechien gibt es zum Beispiel eine eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare. Es wird aber auch in Zukunft einen bestimmten Prozentsatz an Radikalen geben, die Lesben und Schwule ablehnen. Entscheidend ist, wie der Staat damit umgeht. Die Polizei muss für Schutz sorgen, was bei CSD-Paraden in Osteuropa in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Es darf aber auch nicht dazu kommen - wie 2007 in Riga - dass eine Demonstration soweit abgeschirmt wird, dass sie praktisch unter Ausschuss der Öffentlichkeit stattfindet.

tagesschau.de: Ein besonders krasses Beispiel für die Diskriminierung von Homosexuellen war in den vergangenen Jahren Polen. Dort gab es sogar einen Erlass, der Lehrern verbot, Homosexualität im Unterricht überhaupt nur zu erwähnen. Inzwischen gibt es dort eine neue Regierung. Hat sich die Lage von Schwulen und Lesben dadurch verbessert?

Jetz: Ja, zumindest gibt es keine Anwürfe von Seiten der Regierung mehr. Die radikalen Aussagen kommen aber weiterhin von den extremistischen Parteien, nur kommen sie jetzt eben aus der Opposition. Diese Aussagen decken sich in Polen beim Thema Homosexualität durchaus mit der Meinung der katholischen Kirche. Aber die neue Regierung hält sich an EU-Recht und würde niemals einen CSD verbieten, wie das in der Vergangenheit passiert ist.

Christopher Street Day

Der Christopher Street Day (CSD) steht weltweit für das Selbstbewusstsein der Homosexuellen und ihren Widerstand gegen Diskriminierung. Er wird jährlich im Sommer mit bunten Paraden und Demonstrationen gefeiert. Die Aktionen gehen auf Vorfälle am 28. Juni 1969 in New York zurück. Damals hatten sich Homosexuelle in der Christopher Street erstmals gegen willkürliche Razzien der Polizei gewehrt.

"Malaysia noch eines der harmloseren Länder"

tagesschau.de: Ein anderes Land, das am Wochenende für Schlagzeilen gesorgt hat, ist Malaysia. Dort stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe. Oppositionschef Anwar Ibrahim wird dort mit einer Anzeige wegen Homosexualität unter Druck gesetzt. Ist das symptomatisch für die Lage von Schwulen und Lesben in islamischen Ländern?

Jetz: Ja, durchaus. In vielen islamischen Ländern spielt die Religion eine sehr große Rolle. Dabei ist Malaysia noch eines der harmloseren Länder. In Iran oder Saudi-Arabien sind homosexuelle Männer von der Todesstrafe bedroht.

"Schwulenfeindliche Hassinterperten"

tagesschau.de: In Deutschland sind die großen CSDs wie etwa in Köln fast eine Art Volksfest, zu dem Familien mit Kindern ebenso gerne kommen wie Schwule in Ledermontur. Trügt dieses Bild? Sind Schwule und Lesben hier tatsächlich überall in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Jetz: Nein, durchaus nicht. Gerade in den vergangenen Monaten hat es Beispiele dafür gegeben, dass Homophobie wieder salonfähig wird. Es gibt immer wieder erschreckende Meinungsäußerungen, wie etwa die von Herrn Daum. Es gibt schwulenfeindliche Hassinterpreten wie etwa Bushido, die eine große Anhängerschaft haben. Ich erinnere auch an die Evangelikalen, die Homosexuelle "heilen" wollen. Gegen solche Tendenzen muss vorgegangen werden. Das A und O dabei ist Aufklärung.

Anmerkung der Redaktion

Christoph Daum, der Trainer des 1. FC Köln, hatte den DFB kritisiert, weil er den Fußball künftig stärker für die Situation homosexueller Sportler sensibilisieren will. Daum sagte wörtlich: "Ich hätte da wirklich meine Bedenken, wenn dort von Theo Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten. Ich würde den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen."

tagesschau.de: Sind das einzelne Ausreißer oder ist das ein Trend? Wird Deutschland weniger liberal?

Jetz: Das will ich nicht hoffen. Es ist einiges auf dem Vormarsch, aber ich denke, das sind immer noch Minderheitenpositionen. Da ist die Aufklärung vielleicht noch nicht angekommen. Den Bodensatz an Feindlichkeiten gegen Lesben und Schwule wird es aber auch in 20 Jahren noch geben. Es werden uns nie alle lieben.

Das Interview führte Holger Schwesinger, tagesschau.de