Johnson tritt als Abgeordneter zurück Rückzug mit Hintertürchen
Der ehemalige britische Premier Johnson spricht nach seinem Rücktritt als Abgeordneter von einer "Hexenjagd" - und greift massiv die eigene Partei an. Was hat er vor?
Die Eilmeldung von Boris Johnsons Rücktritt als Abgeordneter platzte live in eine politische Diskussionssendung bei BBC Radio 4. Und das Studiopublikum reagierte spontan mit Jubel.
Dem ehemaligen Premierminister waren am Vortag die Ergebnisse einer parlamentarischen Untersuchung mitgeteilt worden. Johnson wurde vorgeworfen, das Parlament über illegale Lockdown-Partys im Regierungssitz Downing Street belogen zu haben.
Suspendierung empfohlen
Britische Medien berichten, der Ausschuss habe eine Irreführung festgestellt und eine Suspendierung aus dem Unterhaus für zehn Tage oder länger empfohlen.
Dadurch hätte Johnson bei einer Nachwahl seinen Sitz verlieren können. Mit seinem Rücktritt kam er einer Abstimmung über die Suspendierung im Parlament zuvor.
Der Meinungsforscher John Curtice sagte in der BBC, für die Öffentlichkeit sei die Erkenntnis nicht neu. 85 Prozent der Briten seien der Meinung, dass Johnson wegen Partygate gelogen habe. "Erstaunlich, dass der Untersuchungsausschuss dafür so lange brauchte. Seine politische Karriere war längst vorbei - jetzt ist sie es endgültig."
Johnson reagierte mit einer wütenden Stellungnahme. Er sei ohne einen einzigen Beweis auf "antidemokratische Art und Weise" aus dem Parlament gedrängt worden. "Sie hatten von Anfang an die Absicht, mich schuldig zu sprechen, völlig unabhängig von den Fakten, das ist ein korruptes Gericht", schrieb er. "Ich bin nicht der Einzige, der denkt, dass hier eine Hexenjagd stattfindet, um Rache zu üben für den Brexit."
Bericht soll "zeitnah" veröffentlicht werden
Zwar leitet eine Abgeordnete der Labour-Opposition den Ausschuss, doch sind darin überwiegend konservative Politiker und auch mehrere Brexit-Hardliner vertreten. Dass ein ehemaliger Premierminister einem wichtigen Parlamentsorgan wie dem "Privileges Committee" derartige Verschwörungstaktiken andichtet, ist beispiellos. Ein Sprecher erklärte, Johnson habe durch seine Aussage die Integrität der Parlamentarier infrage gestellt. Der Bericht des Ausschusses werde "zeitnah" veröffentlicht.
Auch den amtierenden konservativen Premierminister Rishi Sunak griff Johnson an: Als er im Sommer 2022 die Downing Street verlassen habe, hätten die Tories in Umfragen nur knapp hinter der Labour-Opposition zurückgelegen. Jetzt sei der Abstand viel größer geworden. Er sei sehr traurig, das Parlament - zumindest vorerst - verlassen zu müssen, hieß es in Johnsons Mitteilung weiter.
Mit Sitzen belohnt
Kurz vor Johnsons Rücktritt war bekannt geworden, dass er als scheidender Premierminister rund 50 Vertraute, darunter auch Mitarbeiter, die von der "Partygate"-Affäre betroffen waren, mit Sitzen im Oberhaus und royalen Ehren belohnt hat. Rishi Sunak hatte sich Monate lang Zeit gelassen, die Liste abzusegnen. Es hieß, ursprünglich habe Johnson fast doppelt so viele Menschen mit Titeln und Ämtern bedenken wollen. Auch sein Vater Stanley sollte ins House of Lords befördert werden.
Mit seinem spektakulären Rückzug und den massiven Vorwürfen gegen das Parlament und die eigene Partei hat Johnson die Grabenkämpfe innerhalb der Konservativen wieder sichtbar gemacht, meint der ehemalige konservative Justizminister und Johnson-Kritiker David Gauke: "Aus Johnsons Statement geht klar hervor, dass er Ambitionen hat, wiederzukommen", sagt er. Johnson habe der Partei enormen Schaden zugefügt, die Konservativen müssten sich jetzt endgültig von ihm distanzieren. "Denn anstatt Verantwortung zu übernehmen, bemüht er jetzt Verschwörungsmythen à la Trump."