Proteste im Iran Voller Wut auf die Machthaber
Nach den falschen Angaben zum Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs protestieren Tausende Iraner erstaunlich offen gegen die Machthaber in Teheran. Die Stimmung im Land bleibt angespannt.
Der Tag beginnt fast schon seltsam ruhig. Vor den Universitäten und auf den großen Plätzen haben sich Sicherheitskräfte in Stellung gebracht. Doch erst gegen Abend füllen sich die Straßen. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie Demonstranten die geballten Fäuste in die Luft recken und rufen: "Nieder mit dem Diktator".
Sie fordern so offen wie selten den Rücktritt des Obersten Führers Ajatollah Ali Khamenei und richten sich erstaunlich direkt auch gegen die mächtigen Revolutionsgarden. Die sind mit Motorrädern präsent, teils in zivil, dazu der iranische Geheimdienst. Die Polizei fordert die Demonstranten auf zu gehen, aber sie bleiben. Wie schon am Samstag setzen die Sicherheitskräfte schließlich Tränengas ein, prügeln auf Teilnehmer ein, einige werden angeblich verhaftet.
Bei den Protesten gegen die politische und religiöse Führung skandierten Demonstranten "Tod dem Diktator".
Zeitungen entschuldigen sich
Viele der Demonstranten sind Studenten und Intellektuelle und kommen aus der Mittelschicht - anders als bei den großen Demonstrationen im November. Nicht nur sie sind voller Wut, fühlen sich von der iranischen Führung belogen: Fernsehmoderatoren treten zurück, Zeitungsredakteure entschuldigen sich bei ihren Lesern für ihre Berichte in den vergangenen Tagen, die Passagiermaschine sei wegen eines technischen Defekts abgestürzt.
Selbst eine konservative Zeitung titelt, der Abschuss sei ein unverzeihbarer Fehler und druckt die Namen aller 176 Passagiere ab, die ums Leben kamen.
"Ich wünschte, ich wäre in diesem Flugzeug gewesen"
Der Chef der Revolutionsgarden, Hossein Salami, versucht, diese Stimmung bei einer Rede im iranischen Parlament aufzugreifen. "Wir waren im Krieg mit Amerika und wir sind es noch", sagt er. "Aber ich schwöre beim allmächtigen Gott: Ich wünschte, ich wäre in diesem Flugzeug gewesen, wäre damit abgestürzt und verbrannt, und wäre nicht Zeuge dieses tragischen Unglücks geworden."
Die Demonstranten auf den Straßen werfen der Führung vor, sie sei schamlos. Salami antwortet, er habe sich in seinem ganzen Leben noch nie so geschämt. Und er erklärt, der Iran haben bei seinem Vergeltungsschlag auf die US-Stützpunkte im Irak am Mittwoch gar keine Soldaten töten wollen, sondern nur zeigen wollen, dass man jeden Ort treffen könne. Die Staatsmedien behaupten, man habe 80 Soldaten bei den Angriffen getötet.
Proteste gegen britischen Botschafter
Vor der britischen Botschaft gibt es unterdessen Proteste von Regime-Anhängern. "Schande über Dich, England, verlass unser Land", steht auf den Plakaten. Eine Demonstrantin sagt der Nachrichtenagentur Reuters: "Der einzige Grund, warum sie hier sind, ist, dass sie sich in unserem Land einmischen und für Unruhen sorgen."
Gemeint ist vor allem der britische Botschafter Rob Macaire. Die iranischen Behörden hatten ihn am Samstag vorübergehend festgenommen. Er soll Demonstranten angestachelt haben. Macaire selbst schreibt auf Twitter, er war bei einer Trauerfeier für die Opfer des Absturzes. Unter ihnen waren auch Briten. Als Parolen gerufen wurden, sei er gegangen. Die britische Regierung und auch Deutschland kritisieren den Iran. Man habe mit der Festnahme gegen internationales Recht verstoßen.
Vor der britischen Botschaft in Teheran versammelten sich rund 200 Menschen zum Protest gegen das Verhalten des britischen Botschafters.
Von Einigkeit weit entfernt
Im Parlament schaltet der Chef der Revolutionsgarden, Salami, sehr schnell von reumütig wieder auf kämpferisch um. "Wir haben einen Fehler gemacht und einige unserer Landsleute wurden wegen unseres Fehlers getötet, aber das war keine Absicht. Wir entschuldigen uns und werden es wieder gut machen", beteuert er. "Aber seien Sie versichert: Wir sind da und werden es nicht zulassen, dass andere Mächte unser Volk verletzen."
Vergangene Woche hatte er mit solchen Sätzen noch Hunderttausende hinter sich, bei den Trauerzügen für den getöteten General Kassem Soleimani. Nur eine Woche später scheint diese Einigkeit allerdings schon ganz weit weg.