Interview

Interview zu Ausreiseverbot "In China gibt es keine Menschenrechte"

Stand: 09.12.2010 18:41 Uhr

Chinas Regierung hat Unterstützern von Friedensnobelpreisträger Liu die Ausreise verboten. Auch der Ökonom Mao Yushi darf das Land nicht verlassen. Im Interview mit ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt berichtet er über den Umgang der Regierung mit Kritikern und Folgen des harten Kurses.

ARD: Was ist Ihnen am Flughafen passiert, als Sie ausreisen wollten?

Mao Yushi: Ich wollte nach Singapur zu einer Konferenz über die wirtschaftliche Entwicklung der Himalaya-Region. Bei der Passkontrolle am Flughafen wurde ich aufgehalten. Die Beamten haben sich telefonisch mit anderen Behörden besprochen und dann wurde mir mitgeteilt, dass es eine Anweisung des Büros für Öffentliche Sicherheit gebe. "Sie dürfen China nicht verlassen", sagten sie zu mir. "Sie stellen eine Gefahr für die Sicherheit des Landes dar."

ARD: Wie haben Sie reagiert?

Mao: Ich habe gesagt: "Das ist kompletter Unsinn! Ich will nur zu einer Konferenz. Wie kann ich da die Sicherheit Chinas gefährden?" Die Beamten konnten mir darauf keine Antwort geben. Die Gesetze Chinas besagen, dass nur derjenige China nicht verlassen darf, der große Schulden hat und fliehen will, oder eine Person, die vor Gericht steht, oder jemand, der Staatsgeheimnisse verraten will. Diesen Menschen kann man die Ausreise per Gesetz verbieten. Aber auf mich trifft das alles nicht zu. Warum lassen sie mich nicht gehen? Keiner hat mir diese Frage beantwortet.

Zur Person
Der sozialkritische Ökonom Mao Yushi ist Gründer und Präsident des Unirule-Wirtschaftsforschungsinstituts. Er gilt als einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler Chinas. Gemeinsam mit anderen Intellektuellen hatte er Liu Xiaobo in einem offenen Brief zum Friedensnobelpreis gratuliert und die Regierung zu Reformen aufgerufen.

ARD: Was war der wahre Grund?

Mao: Der wahre Grund ist, dass die Regierung Angst hat, ich könnte die Feier zur Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo besuchen. Das hatte ich nie vor. Ich bin daran überhaupt nicht interessiert. Ich bin nicht einmal eingeladen. Aber in China braucht die Regierung keine Begründung für ihr Handeln. Ich habe darum gebeten, mir das Dokument zu zeigen, auf dem steht, warum ich nicht ausreisen darf. Aber das konnte mir keiner zeigen. Ich habe um die Erstattung meiner Tickets gebeten. Die Antwort war: "Das zu fordern, ist alles Ihr gutes Recht, aber wir können Ihnen kein Dokument zeigen und ihre Kosten nicht erstatten." Das ist China! Es gibt keine Instanz, bei der sich die Bürger beschweren können, wenn ihre Rechte verletzt werden. Ich musste einfach wieder nach Hause gehen.

"Regierung benimmt sich wie zu Zeiten der Kulturrevolution"

ARD: Wie beurteilen Sie das Vorgehen der chinesischen Regierung?

Mao: Die Regierung benimmt sich wie zu Zeiten der Kulturrevolution in China. Damals sind sie in mein Haus eingebrochen, haben mir alles gestohlen, haben meiner Frau den Kopf kahlgeschoren und mich zusammengeschlagen. Damals haben sie gesagt, ich sei eine Gefahr für das Land. Heute sagen sie, ich gefährdete die Staatssicherheit. Das sind dieselben lächerlichen Anschuldigungen.

ARD: Warum reagiert die chinesische Regierung so nervös? Warum hält sie Liu Xiaobo nach wie vor für gefährlich, obwohl er im Gefängnis sitzt?

Mao: Ich glaube, die Regierung reagiert völlig falsch. Ist China denn tatsächlich so schwach, dass ein simpler Friedensnobelpreis eine Gefahr für das Land darstellt? Wie kann ich, ein 80 Jahre alter Mann, der nur zu einer Konferenz reisen will und gar nicht die Absicht hat, nach Oslo zu fahren, wie kann ich eine Gefahr für mein Land darstellen? Ich weiß nicht, wer diese Entscheidung getroffen hat. Aber ich denke, mich an der Ausreise zu hindern, diese Entscheidung selbst bringt China in Gefahr. Denn damit hat die Regierung ihr hässliches Gesicht gezeigt und das Image Chinas in der ganzen Welt beschädigt. Bürger nicht ausreisen zu lassen, dafür muss es triftige Gründe geben. Andererseits zeigt dieses Verhalten auch, wie richtig es war, Liu Xiaobo den Preis zu verleihen. Denn es gibt keine Menschenrechte in China. Ich bin kein politischer Aktivist. Ich bin nur ein Wirtschaftsprofessor. Wie soll ich diesen Staat gefährden? Das ist doch absurd.

Liu Xiaobo

Unterstützern von Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo verweigert China die Ausreise.

ARD: Wissen Sie, wie es Unterstützern von Liu Xiaobo derzeit ergeht?

Mao: Heutzutage bekommt man eine Menge Informationen über das Internet. Daher weiß ich, dass seine Frau Liu Xia unter Hausarrest steht. Und dass es anderen wie mir ergangen ist: Sie dürfen das Land nicht verlassen.

"China hat vielen kleinen Ländern Angst eingejagt"

ARD: Was will die chinesische Regierung mit diesem Verhalten bezwecken?

Mao: Die Regierung benutzt ihre Macht, um die Preisverleihung am Freitag zu boykottieren. Als voriges Jahr US-Präsident Obama den Preis gewann, waren 800 Journalisten dort. Dieses Jahr werden es vielleicht nur 400 sein. Es könnte eine kalte und glanzlose Veranstaltung werden. Darauf hofft China, damit sie dann sagen können: "Schaut her: Die Veranstaltung wurde weltweit boykottiert und die Mehrheit der Länder dieser Welt steht auf unserer Seite."

Aber ich glaube das ist ein großer Fehler. Nur weil nun viele Menschen nicht nach Oslo reisen dürfen, heißt das noch lange nicht, dass die Rechnung der chinesischen Regierung aufgeht. Es bedeutet nur, dass die chinesische Regierung ihre Macht ausnutzt, um Menschen unter Druck zu setzen und zu kontrollieren. Mit ihrer Drohung, Handelsbeziehungen zu Norwegen abzubrechen, hat China vielen kleinen Ländern Angst eingejagt. Die trauen sich jetzt nicht, zu kommen. Aber damit hat China sich selbst und seinem Image einen Bärendienst erwiesen. Ein gutes Image kommt vom guten Ansehen in der Welt. Das gewinnt man nicht, wenn man seine Macht missbraucht, um Dinge zu verhindern, die man nicht mehr verhindern kann.

Das Interview führte Christine Adelhardt, ARD-Studio Peking.