Interview

Parlamentswahl im Irak "Malikis Politik hat Al Kaida gestärkt"

Stand: 30.04.2014 13:23 Uhr

Im Irak wird heute ein neues Parlament gewählt. Als Favorit für das Amt des Ministerpräsidenten gilt Amtsinhaber Maliki. Dessen schiitisch orientierte Politik habe die Konflikte im Land zuletzt aber verstärkt, kritisiert Nahost-Experte Jochen Hippler im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Seit 2006 ist Nuri al Maliki irakischer Ministerpräsident. Und auch bei diesen Wahlen wird er wieder antreten. Wie groß sind die Chancen, dass er wiedergewählt wird?

Jochen Hippler: Sie sind relativ gut, weil die Opposition keine gemeinsame Gegenposition formulieren kann. Ich sehe zumindest keinen Gegenkandidaten, der Maliki überstrahlt. Zudem unterstützen ihn auch manche Leute, etwa aus dem kurdischen Autonomiegebiet, die ihm zwar innenpolitisch nicht besonders nahe stehen, ihn aus taktischen Gründen aber dennoch wählen. Überraschungen sind natürlich nicht ausgeschlossen - denken wir an die letzte Wahl, wo es sehr knapp für Maliki war.

Zur Person
Jochen Hippler ist Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen. Er forscht schwerpunktmäßig im Bereich Internationale Politik.

"Unzufrieden sind so ziemlich alle"

tagesschau.de: Bei der Wahl 2010 musste Maliki ein Bündnis mit der Vereinigten Irakischen Allianz eingehen. Doch auch deren Anführer, Mukthada al Sadr und Ammar al Hakim sind wegen Malikis autoritären Verhaltens zunehmend unzufrieden mit dem Ministerpräsidenten ...

Hippler: Unzufrieden sind im Irak so ziemlich alle. Auch aus Malikis eigener Partei gibt es relativ viele Stimmen, die sagen, dass die Entwicklung im Irak in den vergangenen fünf, sechs Jahren nicht besonders positiv verlaufen ist. Das Problem ist es, im Irak überhaupt ein funktionierendes politisches System zustande zu kriegen. Im Moment ist der Staatsapparat zunehmend gelähmt. Wenn man aber vor die Wahl gestellt wird, entweder ein nicht funktionierendes politisches System zu haben, oder einen zu autoritärem Verhalten neigenden und zunehmend auch konfessionell parteilich agierenden Ministerpräsidenten zu tolerieren, dann werden auch Leute, die mit Maliki eigentlich unzufrieden sind, trotzdem keine Fundamentalopposition gegen ihn betreiben.

Die Frage ist, ob Gruppen an die Macht kommen könnten, die einen Gesamtirak oder einen überkonfessionellen Staat haben wollen, in dem Schiiten, Kurden und sunnitische Araber beteiligt sind. Ich habe den Eindruck, dass es in der Bevölkerung dafür sehr große Sympathie gibt. Ich kann aber im Moment nicht erkennen, dass sich dieser Wunsch in der Parteipolitik besonders niederschlägt.

"Al-Kaida war eigentlich schon besiegt"

tagesschau.de: Allein in diesem Jahr kamen bei Anschlägen im Irak mehr als 4000 Menschen ums Leben. Sind das Versuche, die Wahl zu beeinflussen?

Hippler: Ich kann nicht erkennen, dass das nur mit den Wahlen zu tun hat. Vor ein paar Jahren waren es ungefähr 100 bis 200 Tote pro Monat. Das ist immer noch viel, aber verglichen mit den Opferzahlen auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges war es doch eine Verbesserung der Situation. Und jetzt, in den vergangenen zwei, drei Jahren, nehmen die Opferzahlen wieder dramatisch zu. Das ist ein Trend, der schon längerfristig ist.

Das hängt wesentlich damit zusammen, dass Ministerpräsident Maliki sich in den vergangenen drei oder vier Jahren entschieden hat, stärker als Vertreter einer Konfession - der Schiiten - und nicht als Vertreter einer Gesamtgesellschaft aufzutreten. 2008 hat tatsächlich eine historische Chance bestanden, den Irak zu einen und ein neues politisches System zu schaffen, in dem sich alle verschiedenen Bevölkerungsgruppen wiederfinden würden.

Doch Maliki hat diese Chance verpasst. Er hat sunnitische Regierungsmitglieder teilweise polizeilich als Terroristen verfolgen lassen, was ihm bei hochrangigen schiitischen Politikern nie in den Sinn gekommen ist. Es gab Gewalteinsätze gegen unbewaffnete sunnitische Demonstranten. Das ist ihm sehr übel genommen worden. Und das hat auch dem Terrornetzwerk Al Kaida Zulauf gebracht. Eigentlich war es im Irak schon besiegt, inzwischen ist es aber wieder im großen Maße aktiv. Ohne diese fragwürdige Politik des Ministerpräsidenten wäre das schwer denkbar gewesen.

"Die US-Invasion hat dem Iran genutzt"

tagesschau.de: Wie groß ist der Einfluss des Auslands, insbesondere der USA?

Hippler: Der amerikanische Einfluss ist seit dem Abzug der Truppen 2011 massiv zurückgegangen. Anders als noch bei der Machtübergabe an irakische Politiker haben sie keine direkten Möglichkeiten mehr, die Fäden selber zu ziehen. Wenn ein Land Einfluss auf den Irak hat, dann ist es vor allem der Iran. Zwischen dem Land und der Partei von Ministerpräsident Maliki gibt es teilweise enge freundschaftliche Bindungen.

In gewissem Sinne hat die US-Intervention von 2003 langfristig also dem Iran genutzt. Das Land hat einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Parteien und Milizen, die sich als schiitisch definieren. Gleichzeitig gibt es aber ein starkes Misstrauen im Irak gegenüber dem Iran, auch unter den Schiiten. Viele finden, dass der Einfluss des Iran jetzt viel zu groß ist.

tagesschau.de: Wie wird es im Irak weitergehen?

Hippler: Falls Maliki die Wahl gewinnt, wird es entscheidend sein, ob er aus der Entwicklung der vergangenen Jahre konstruktive Schlussfolgerungen zieht und Versöhnungsschritte unternehmen wird. Das ist im Moment nicht erkennbar, aber man soll ja nicht ausschließen, dass Leute dazulernen können. Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, wenn Maliki einfach die gegenwärtige Politik weiterführen sollte, dann ist die Gefahr relativ groß, dass die Gewalt im Irak noch deutlich zunimmt.

Das Interview führte Jan Ehlert, tagesschau.de

Björn Blaschke, B. Blaschke, ARD Kairo, zzt. Erbil, 30.04.2014 08:57 Uhr