Interview zu den Folgen des 11. Septembers "Die Strahlkraft der USA schwindet"
Der Krieg gegen den Terror, den die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begannen, ist global - und er dauert bis heute an. Die Folgen: Afghanistan-Krieg, Irak-Feldzug, Guantanamo und gigantische Kosten. Die Vereinigten Staaten, so USA-Experte Braml, haben illiberale Züge angenommen.
tagesschau.de: Herr Braml, wie war die Stimmung in den USA am Tag vor den Anschlägen auf New York und Washington?
Josef Braml: Amerika war so selbstbewusst, wie es der einzig verbliebenen Supermacht zustand. Die USA waren wie Rom, dann kam lange nichts und dann der Rest der Welt. Das galt militärisch wie wirtschaftlich. Zugleich fühlten sich die USA vollkommen sicher: Die Landmasse der USA war von zwei Ozeanen geschützt. Durch die Anschläge vom 11. September lernten die Amerikaner aber, dass die neue Gefahr nicht von einer anderen Supermacht, sondern von prekären Staaten ausging, in diesem Fall von Afghanistan.
Die Anschläge vom 11. September erschütterten auch das Selbstbewusstsein der USA bis in die Grundfesten.
tagesschau.de: Wenn Sie das mit der Gegenwart vergleichen: Wie stehen die USA heute da?
Braml: Die Strahlkraft der USA als liberale Demokratie hat an Glanz verloren. Amerika hat nach innen und außen illiberale Züge bekommen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass US-Präsident George W. Bush, der die Demokratie verbreiten wollte, damit der eigenen Demokratie großen Schaden zugefügt hat.
tagesschau.de: Wie meinen Sie das?
Braml: Es wurden während des Kriegs gegen den Terror Institutionen des Rechtsstaats ausgehöhlt, beispielsweise Habeas Corpus, also das Recht, seine Inhaftierung vor einem Gericht überprüfen zu lassen. Dazu kommen das Lager im US-Stützpunkt Guantanamo, wo Hunderte Terrorverdächtige praktisch unbegrenzt festgehalten werden, die Verlagerung von Verhandlungen an Militärgerichte, Entführungen von Verdächtigen in Staaten, die Folter erlauben, sowie die von der Regierung von Barack Obama später dann als Folter eingestufte Verhörmethode des Waterboarding. Dabei glauben die Verhörten, dass sie ertrinken ...
Die Verhörmethode wird seit der spanischen Inquisition eingesetzt und ist in vielen Ländern verboten. In den USA wurde Waterboarding unter George W. Bush vor allem im Gefangenenlager Guantanamo angewendet. Die Regierung beharrte trotz internationaler Kritik darauf, dass es sich nicht um Folter handelt. Bushs Nachfolger Barack Obama verbot Anfang 2009 das Waterboarding.
"Obama ist zu sehr wie Bush"
tagesschau.de: ... Obama nahm sogar in seiner Antrittsrede Bezug auf diese Praktiken ...
Braml: ... das war eine schallende Ohrfeige für die Regierung Bush. Obama sagte Bush mehr oder weniger offen: Du hast nach dem 11. September unsere Ideale für eine falsche Illusion der Sicherheit verraten! Obama trat an, um Amerika wieder leuchten zu lassen. Inzwischen ist aber klar, dass dies nicht in jeder Hinsicht gelingt. Sogar viele liberale US-Medien meinen: "Obama ist zu sehr wie Bush."
tagesschau.de: Obama hat die Wahl auch gewonnen, weil er Guantanamo schließen und den Krieg im Irak beenden wollte. Auch mit Blick auf die Machtverhältnisse im Kongress gefragt: Kann Obama das überhaupt durchsetzen?
Braml: Da liegt das Problem - Bush hat durch die Ausrufung des Kriegs gegen den Terror große Macht gegenüber dem Kongress erwirkt. Er konnte gewissermaßen durchregieren. Die damals etablierten Regelungen wieder zu revidieren ist politisch schwierig. Es gleicht dem Versuch, eine ausgedrückte Tube Zahnpasta wieder zu füllen.
tagesschau.de: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Braml: Nehmen Sie den Versuch der Regierung Obama, die Terrorverdächtigen vor zivile Gerichte in den USA zu stellen. Die Kongressabgeordneten beider Parteien arbeiten überwiegend dagegen, denn sie würden von ihren Wählern bestraft, wenn Terrorverdächtige in ihren Wahlkreisen vor Gericht stünden. Not in My Backyard - Nicht in meinem Hinterhof - ist die Devise.
Die unklare Rechtslage, die schweren Haftbedingungen und Berichte über Menschenrechtsverletzungen in dem Lager wurden und werden international scharf kritisiert. Im Januar 2009 unterschrieb US-Präsident Barack Obama ein Dekret zur Schließung des Lagers, in dem zu diesem Zeitpunkt noch immer 245 Menschen inhaftiert waren. Umgesetzt wurde dieses Dekret allerdings bis heute nicht.
Engagement in Afghanistan zurückgefahren
tagesschau.de: Und das Engagement am Hindukusch?
Braml: Afghanistan zu stabilisieren und Pakistans Zerfall zu verhindern, hat Obama als die zentralen Aufgaben des US-Engagements benannt. Der Krieg im Irak war demnach nur eine "Ablenkung". Der ausgeweitete Einsatz in Afghanistan führte allerdings auch wieder zu Zähneknirschen in den USA, interessanterweise gerade bei demokratischen Abgeordneten, die ihren Wählern erklären mussten, warum die Regierung Obama in Afghanistan Nation Building betreibt und nicht zuhause. Mittlerweile führen die USA ihr Engagement wieder zurück und konzentrieren sich umso mehr auf die eigenen wirtschaftlichen Probleme.
tagesschau.de: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hatte der Krieg gegen den Terror für die USA?
Braml: Dieser Krieg war vor allem unglaublich teuer: Er hat bislang mehr als eine Billion Dollar gekostet, das meiste davon wurde für den Irakkrieg ausgegeben, etwa 700 Milliarden Dollar. 300 Milliarden Dollar kann man für den Afghanistan-Feldzug veranschlagen. Dieses Geld konnte nicht in den USA selbst ausgegeben werden. Und die Summe berücksichtigt noch nicht den hohen innenpolitischen Preis, den tote amerikanische Soldaten bedeuten.
Die anschließenden Missionen im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" und der Internationalen Afghanistan-Truppe ISAF dauern bis heute an. Daran sind zahlreiche Nationen, unter ihnen auch Deutschland, beteiligt. Bis heute kamen dabei mehr als 2500 Koalitionssoldaten ums Leben. Wie viele Aufständische, afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten getötet wurden, ist unbekannt. Allein für das Jahr 2010 bezifferten die Vereinten Nationen die Zahl der zivilen Opfer mit fast 2800.
tagesschau.de: Der Weg vom 11. September zum Feldzug gegen die Taliban in Afghanistan war klar nachvollziehbar. Damit sind doch zumindest diese Ausgaben verständlich.
Braml: Das waren sie, aber gleichzeitig schwächte Bush in seiner Regierungszeit auch die Einnahmeseite des Staats. Neben den enormen Ausgaben für den Krieg senkte er die Steuern für die Wohlhabenden. Auch dieser Teil der "Butter- und Kanonenpolitik" kostete viele hundert Milliarden Dollar. Unterm Strich hat Bush das Land nach den Anschlägen vom 11. September zurück ins Haushaltsdefizit geführt. Dabei hatte er einen ausgeglichenen Haushalt von seinem Vorgänger Bill Clinton übernommen.
tagesschau.de: Wie hat sich das transatlantische Verhältnis seit den Anschlägen verändert?
Braml: Die Amerikaner haben das alte Konstrukt NATO sicherheitspolitisch abgeschrieben. Sie peilen inzwischen eine globale NATO an, die sie dann auch für die strategischen Herausforderungen in Asien - namentlich China - heranziehen können. Man kann eine solche globale NATO auch als Parallelveranstaltung zur UNO sehen, wo viele Maßnahmen verhindert werden, weil Demokratien dort ebenso vertreten sind wie Diktaturen.
Auf dem Weg zur globalen NATO
tagesschau.de: Und wie könnte eine globale NATO praktisch aussehen?
Braml: Japan, Südkorea und Australien werden sicher nicht in die NATO aufgenommen. Sie könnten aber als strategische Partner im asiatisch-pazifischen Raum stärker in Erscheinung treten. Übrigens hatte schon die Regierung Clinton diese Idee einer Allianz der Demokratien, John McCain hat die Idee im Wahlkampf vertreten ebenso wie das Team Obama. Ivo Daalder, der amtierende NATO-Botschafter, sieht schon seit längerem die globalen NATO als eine Allianz der Demokratien. Wir können also erwarten, dass das Thema der globalen NATO uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird.
tagesschau.de: Welchen Machtanspruch haben die USA langfristig in der Welt?
Braml: Washington wird weiterhin versuchen, der liberale Hegemon der Weltpolitik zu bleiben, die Welt nach seinen Wertvorstellungen und Bedürfnissen zu ordnen. Der instrumentelle Multilateralismus wird zunehmen, wobei Multilateralismus im amerikanischen Verständnis bedeutet: Man nutzt die NATO, man nutzt die UNO, um Lasten auf die Partner abzuwälzen.
Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de