Einschätzung zur Frankreich-Wahl Ein Sieg über die Angstmacher
Macron habe vieles richtig gemacht, indem er auf Reformen und auf Europa gesetzt habe, sagt der Frankreich-Experte Stefan Seidendorf. Nun komme es für Macron darauf an, sich eine Hausmacht zu schaffen. Und die Wahlverliererin Le Pen? Die sei keineswegs abgeschrieben.
tagesschau.de: Was hat Emmanuel Macron richtig gemacht?
Stefan Seidendorf: Er ist als der seriösere Kandidat rübergekommen. Er hat ein konkretes Programm mit vielen konkreten Projekten verbunden, mit einer Botschaft der Hoffnung, mit der Botschaft, dass man auch in einem weltoffenen, europäischen Frankreich die Zukunft meistern kann. Er hat überzeugt mit einem Programm gegen die Angst. Gegen die Parolen der Angstmacher hat er sowohl konkrete Reformvorschläge als auch eine Botschaft des Herzens gesetzt. Und dann hat er unheimlich profitiert von den Fehlern seiner Gegner.
tagesschau.de: Woran ist Marine Le Pen gescheitert?
Seidendorf: Wenn man vor fünf Jahren das jetzige Ergebnis vorhergesagt hätte, hätte man das als Riesenerfolg für sie gewertet. Marine Le Pen hat die Wählerzahl, die für sie gestimmt hat, im Vergleich zu ihrem Vater, als der 2002 in der zweiten Runde war, in etwa verdoppelt. Was am Ende nicht gut funktioniert hat: sie hat erstens versucht, das Lieblingsthema des Front National, die Fremdenfeindlichkeit, etwas zurückzustellen, um präsidentieller zu wirken. Sie hat stattdessen voll auf die Anti-Euro-Thematik gesetzt. Die Franzosen wollen aber in der EU bleiben und den Euro behalten. Und zweitens hat sie am Ende, als sie gemerkt hat, dass es schwierig wird, sehr stark auf Krawall und einen brutalen Schmutzwahlkampf gesetzt. Das haben ihr dann doch viele übel genommen.
Dr. Stefan Seidendorf ist seit 2014 stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg (dfi). Er ist verantwortlich für die Europaabteilung. Seine Themen sind u.a. die deutsch-französischen Beziehungen und der europäische Integrationsprozess.
tagesschau.de: Nun wird Emmanuel Macron als Parteiloser der neue Präsident Frankreichs werden. Welche Probleme könnten durch die fehlende Hausmacht für ihn entstehen?
Seidendorf: Der Wahlkampf geht in Frankreich ja direkt weiter. In vier Wochen sind Parlamentswahlen, auch wieder in zwei Runden. Und dabei kommt es darauf an, dass Macron eine Mehrheit für seine Politik im Parlament bekommt. Er hat tatsächlich keine eigene Partei, er möchte dennoch in allen 577 Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Und wird dafür sicherlich zum Teil auf etablierte Kräfte von links oder rechts zurückgreifen müssen. Für die entscheidenden Reformschritte wird er eine Hausmacht benötigen. Aber er hat jetzt ein politisches Momentum und es gibt tatsächlich eine Chance, dass er davon profitiert und sich auch in diesen Parlamentswahlen durchsetzen kann.
tagesschau.de: Welche Reformen wird Emmanuel Macron als Erstes angehen?
Seidendorf: Er hat schon angekündigt, dass er sehr schnell, also noch vor den Parlamentswahlen, mit Präsidialdekreten an die Reformen des Arbeitsmarktes herangehen möchte. Mit dieser Reform war er auch als Wirtschaftsminister 2014 - 2016 schon teilweise befasst. Sie ist ihm damals nicht weit genug gegangen. Jetzt wird es darum gehen, tatsächlich auch zählbare Ergebnisse hinzubekommen.
tagesschau.de: Wie verlässlich wird Emmanuel Macron als französischer Präsident für Europa und für Deutschland sein?
Seidendorf: Er wird ein konstruktiver Partner sein und kein unbequemer Partner. Für ihn ist völlig klar: Um die Spaltung Frankreichs zu überwinden, die jetzt doch sehr tief geht nach diesem Krawallwahlkampf, der bis in die Familien hinein sehr kontrovers geführt wurde, dafür benötigt er auch die Unterstützung Europas und Deutschlands. Es geht darum, eine soziale Umverteilungspolitik zu ermöglichen - entweder auf der nationalen Ebene durch eine Lockerung der Maastricht-Kriterien oder auf europäischer Ebene durch Mechanismen bei der Solidarität und der Umverteilung.
tagesschau.de: Welche Folgen wird die Wahlniederlage für den „Front National“ haben? Welche Folgen für Marine Le Pen persönlich?
Seidendorf: Marine Le Pen ging direkt nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses in die Offensive. Sie hat sofort angekündigt, den Front National umzubauen. Sie versucht, das rechte Lager um sich zu scharen, eine große nationale Sammlungsbewegung. Das ist natürlich ein cleverer Zug, weil sie genau weiß, dass die bürgerliche Rechte nach dieser Wahl ein Scherbenhaufen ist. Diese ist gerade dabei, sich selbst zu zerlegen. Man versucht jetzt, sich vor der Parlamentswahl kampagnenfähig zu machen, aber sicherlich wird ein Teil der bürgerlichen Rechten zu Macron übergehen. Und ein anderer Teil könnte sich bei Marine Le Pen wiederfinden. Le Pen setzt schon jetzt auf Angriff und darauf, zur wichtigsten Person der Opposition zu werden.
Das Interview führte Antraud Cordes-Strehle für tagesschau.de