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Lage der Christen im Irak "In ständiger Angst vor Vertreibung"

Stand: 29.07.2014 12:07 Uhr

ARD-Korrespondent Matthias Ebert war für den Weltspiegel im Irak unterwegs und hat dort Christen getroffen, die von den IS-Rebellen schikaniert wurden. Im tagesschau.de-Interview schildert er, warum die Christen nun auf die Unterstützung der Kurden hoffen und in Furcht vor neuer Vertreibung leben.

tagesschau.de: Der Irak versinkt seit dem Vormarsch der IS-Milizen weiter im Chaos. Die Kurdengebiete im Norden scheinen vergleichsweise stabil zu sein. Woran liegt das - welchen Eindruck haben Sie bei Ihren Recherchen vor Ort gewonnen?

Matthias Ebert: Ein General der kurdischen Peschmerga-Kämpfer hat mir erzählt, Grund dafür sei das gut ausgebaute Sicherheitsnetz. Es gibt hier viele Checkpoints an allen entscheiden Punkten im Straßensystem. Den strengen Kontrollen unterliegen beispielsweise alle Lastwagen, die Produkte in die Gebietshauptstadt Erbil bringen wollen. Die Besitzer der Lastwagen müssen immer mit in die Stadt hineinfahren, damit Selbstmordanschläge weitgehend ausgeschlossen werden.

An wichtigen Fabriken und Gebäuden im Kurdengebiet sind Gräben ausgehoben, aus denen im Angriffsfall die Kämpfer verteidigen können. Hinzu kommt die Sprache. Wer aus anderen Landesteilen kommt und nicht Kurdisch spricht, wird noch intensiver überprüft als Einheimische.

All diese Kontrollen - gepaart mit einem funktionierenden Geheimdienstnetz - tragen zu der Sicherheitslage bei. Wirtschaftlich profitieren die Kurden in erster Linie von den Einnahmen durch das Ölgeschäft.

Zur Person

ARD-Korrespondent Matthias Ebert arbeitet in der Auslandsredaktion des SWR und ist seit 2011 in Krisengebieten im Einsatz. Er berichtete unter anderem über den Umbruch in Ägypten oder über den Sturz des Diktators Gaddafi in Libyen.

"Pattsituation zwischen Kurden und IS-Rebellen"

tagesschau.de: Sie waren mit den kurdischen Peschmerga-Einheiten, die gegen die vorrückenden IS-Rebellen kämpfen, auch an der Front. Was haben Sie da miterlebt?

Ebert: Bei Karakosch, etwa 30 Kilometer vom nordirakischen Mossul entfernt, verläuft die Front. Mein Team und ich waren mit einem Offizier unterwegs, der uns bis zu einer improvisierten Peschmerga-Kaserne geführt hat, der letzten vor der Frontlinie. 300 Meter von der Kaserne entfernt lagen die kurdischen Kämpfer im Graben, einen Kilometer weiter lagen die Kämpfer des IS im Graben. Zurzeit herrscht dort eine Art Pattsituation. Die IS-Kämpfer zögern, die Peschmerga weiter anzugreifen, weil sie erst vor wenigen Wochen eine Niederlage in der Gegend erlitten hatten - und von den Kurden schließlich zurückgedrängt wurden.

tagesschau.de: Haben Sie auch die IS-Kämpfer gesehen?

Ebert: Nein, das ist zu gefährlich. Dafür hätten wir einen gepanzerten Wagen mieten müssen, um dann weiter in Begleitung der Kurden in Richtung Mossul zu fahren. Doch sieben Kilometer vor Mossul haben die IS-Aufständischen an der Hauptstraße ihren letzten Checkpoint, 800 Meter weiter befindet sich der letzte Kontrollposten der Kurden. Zwischen diesen Punkten dürfen sich nur Fußgänger aufhalten; Autofahrer dürfen dieses Gebiet nicht befahren. Dort zu drehen, wäre wegen Scharfschützen und Raketen der Islamisten also viel zu riskant.

"Die eroberten Gebiete nicht mehr hergeben"

tagesschau.de: Der von Ihnen beschriebene Ort Karakosch liegt nicht mehr im autonomen Kurdengebiet; dennoch kämpfen dort kurdische Einheiten. Bauen so die Kurden im Windschatten des IS-Terrors ihren Machtbereich aus?

Ebert: Offen vor der Kamera hat das zwar keiner gesagt, die Peschmerga-Kämpfer dürfen ohnehin keine Interviews geben. Hinter vorgehaltener Hand sagen sie aber, dass sie die Gebiete etwa um Kirkuk, die sie jetzt besetzt halten, nicht mehr hergeben. Dort leben überwiegend Schiiten und Turkmenen. Der Präsident der kurdischen Autonomiegebiete, Massud Barsani, will sogar, dass in den entsprechenden Provinzen ein Referendum abgehalten wird - und sich die Menschen dort entscheiden können, ob sie zur Kurdenregion oder weiter zum irakischen Zentralstaat gehören. 

 

tagesschau.de: Wie bewerten die Menschen dort die Lage - und wie würden sie bei einem Referendum abstimmen?

Ebert: In den christlich geprägten Orten zwischen Erbil und Mossul, das derzeit unter IS-Kontrolle ist, würde es dafür vermutlich auch eine Mehrheit geben, weil sich die Menschen dadurch mehr Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität versprechen. Die Christen in der Region sind froh darüber, dass sich die kurdischen Peschmerga-Kämpfer den IS-Milizen in den Weg stellen. Die Menschen sind genervt  von der ewigen Gewalt, die seit vielen Jahren von Mossul ausgeht. Extremisten hatten hier immer wieder Anschläge verübt.

"Zwischen die Fronten geraten"

tagesschau.de: Sie haben mit Christen gesprochen, die aus Mossul vor den IS-Terroristen geflüchtet sind. Was haben die Menschen berichtet?

Ebert: Die Christen aus Mossul wurden vom IS vor die Entscheidung gestellt, entweder zum Islam überzutreten, eine hohe Steuer zu zahlen oder zu fliehen. Die meisten sind daraufhin geflohen, nur diejenigen, die zu alt waren, sind in Mossul geblieben und wurden von den Islamisten zwangskonvertiert. Die Flüchtlinge harren nun teilweise in Karakosch aus, wo sie sich in Rohbauten auf dem Boden Essen machen müssen - und auch dort in ständiger Angst leben, wieder vertrieben zu werden. Die Christen sind hier zwischen die Fronten geraten. Es gibt in der Gegend um Mossul etwa acht größere Ortschaften, in denen zehntausende Menschen leben - vor allem Christen. Und  auf ihrer Flucht wurden sie von den IS-Kämpfern regelrecht schikaniert.

Anhand der irakischen Pässe, die die Religionszugehörigkeit ausweist, konnten die Rebellen an den Kontrollposten sofort erkennen, ob es sich um Christen handelt. Und das nutzten sie aus. Eine Flüchtende hat mir erzählt, dass sie bis zur Unterhose untersucht wurde, ob sie Wertsachen bei sich trägt. Das ging so lange, bis die Rebellen Goldschmuck, den die Frau an ihren Hüften versteckt hatte, entdeckten - und ihr wegnahmen. Andere Frauen berichteten, dass ihnen Ohrringe abgerissen wurden. Klar ist: Die IS-Aufständischen versuchen auf perfide Weise, besonders diese Religionsgruppe auszunehmen.

"Flüchtlingscamps an der Kapazitätsgrenze"

tagesschau.de: Wie ist die Lage in den Flüchtlingslagern auf der kurdischen Seite?

Ebert: Die Lager stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Es gibt zwar Wasser, aber nicht überall Strom. Deswegen stellen die Vereinten Nationen Strommasten auf, damit dort auch Ventilatoren zum Gang gebracht werden können. Ich haben es selbst erlebt: Bei 45 Grad Celsius Außentemperatur ist es in den Zelten fünf Grad wärmer – 50 Grad, das ist also unfassbar heiß. Die Menschen leben unter extrem ungesunden Zuständen. Und bald sind die Zeltlager voll.

Aufgefallen ist mir, dass vor allem Sunniten und Turkmenen in den Flüchtlingslagern sind. In den Zeltlagern habe ich keinen einzigen Christen getroffen. Christen gehörten nicht zu den Ärmsten, die in Mossul gelebt haben. Sie versuchten eher durch ihre eigenen Netzwerke, in anderen Gemeinden  oder bei Verwandten unterzukommen, etwa in Erbil, Karkosch oder Sulaimaniya.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.