Interview mit HDP-Chef Demirtas Zweifel an Putsch-Erklärung der AKP
Seit dem Putschversuch geht die türkische AKP-Führung gegen Kritiker vor - dazu zählt auch die pro-kurdische Partei HDP. HDP-Chef Demirtas bezweifelt im WDR-Interview, dass allein eine Gruppe für den Putsch verantwortlich ist. An die EU formuliert er klare Wünsche.
Sie haben den Putschversuch in der Türkei mehrfach verurteilt. Dennoch wurden Sie am vergangenen Montag nicht zu der Versammlung mit den Oppositionsführern Kemal Kilicdaroglu (CHP) und Devlet Bahceli (MHP) im Palast von Präsident Recep Tayyip Erdogan eingeladen. Warum wird die HDP nicht als Gesprächspartner gesehen?
Selahattin Demirtas: In der Türkei unterscheidet sich die Politik der HDP mit ihrer Haltung und ihren Lösungsvorschlägen deutlich von den anderen Parteien der politischen Mitte. Was genau ist dieser Unterschied?
Wir haben immer verteidigt, dass die aktuellen Probleme in der Türkei in einem nationalistischen Politikverständnis begründet liegen. Die Türkei ist eine Gesellschaft vieler verschiedener Kulturen und Sprachen. Das, was die Türkei zusammenhalten kann, ist nicht eine Art von Religionszugehörigkeit, Konfessionszugehörigkeit oder Glaubensgemeinschaft. Stattdessen müssten sich die Gemeinschaften mit und aus dem demokratischen Grundsatz ergeben. Das ist das, was die HDP schon immer verteidigt hat. Die anderen drei Parteien bauen ihre Politik unverändert auf einem monistischen Verständnis auf - daher fällt es ihnen nicht schwer, sich miteinander zu treffen.
Demirtas fordert eine neue Politik in der Türkei.
Wir sind auch dafür, dass man sich zusammenschließt. Aber die Grundlage für einen solchen Zusammenschluss ist wichtig. Ein Bund, welcher auf Rückwärtsgewandtheit, Nationalismus und Faschismus aufbaut, hilft niemandem. Die AKP, CHP und MHP wollen einen solchen Zusammenschluss bilden. Der Präsident hielt es anscheinend für angebracht, nur diejenigen Parteien einzuladen, die mit diesem Verständnis konform gehen.
Wie viel weiß der Geheimdienst?
Die Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putsch verantwortlich und spricht von "äußeren Mächten". In Ihrer letzten Rede haben Sie darauf hingewiesen, dass auch Akteure aus den Reihen der AKP selber beteiligt sein könnten. Wer könnten Ihrer Meinung nach die Akteure dieses Putschversuches gewesen sein?
Demirtas: Solch ein Urteil kann nur nach einer gründlichen, rechtmäßigen, fairen Untersuchung gefällt werden. Ich bin mir sicher, dass die Geheimdienste Informationen darüber haben, wer diesen Putsch geplant und ausgeführt hat. Aber dies wird der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Es wird nur gesagt, dass die Gülen-Gemeinde an dieser Sache beteiligt war.
Ich habe in meiner Rede im Parlament betont: Es kann sein, dass viele verschiedene Gruppen an diesem Putsch beteiligt waren. Es kann sein, dass Personen aus der AKP in irgendeiner Art und Weise beteiligt gewesen waren, beispielsweise den Putsch wissentlich nicht verhindert haben. All dies würde sich in einer fairen Untersuchung herausstellen. Stattdessen findet Despotismus und Lynchjustiz statt.
Unsere Hoffnung ist, dass der Hintergrund dieses Putsches aufgedeckt wird, so dass jegliche Beteiligten, ob im Militär oder in der Politik, verantwortlich gemacht werden können. Die Stimmen, die die alleinige Verantwortung der Gülen-Bewegung in Zweifel ziehen, mehren sich.
Keine gemeinsamen Kundgebungen mit CHP und AKP
Nach der von der CHP-organisierten Demonstration am vergangenen Sonntag gab es auch Ankündigungen von Versammlungen im Zeichen der Demokratie und gegen den Putsch. Daran will sich auch die HDP beteiligen. Wann sollen diese stattfinden und in welchen Städten sind diese angedacht? Ist es möglich, dass diese vielleicht im Zusammenschluss mit der CHP und AKP stattfinden?
Demirtas: Wir haben bereits vergangenen Samstag mit einer kleinen Kundgebung im Gazi-Viertel in Istanbul begonnen. Wir planen für den kommenden Samstag eine Demonstration in Izmir. Am Sonntag wollen wir eine Kundgebung in Diyarbakir und am Montag eine in Van veranstalten. In Adana, in Mersin, in Ankara wird es sicherlich ebenfalls Versammlungen von uns geben.
Wir planen derzeit nicht, dies mit der AKP oder CHP gemeinsam zu organisieren. Ich sehe zurzeit auch nicht, dass die Bedingungen erfüllt sind, unter denen dies möglich wäre. Unsere Ansichten zum Putschversuch stimmen nicht mit denen der AKP und CHP überein.
Diese Menschen besuchten am Samstag eine HDP-Kundgebung in Istanbul ...
Die AKP verfolgt eine Politik des Ausnahmezustands, schärferer Sicherheitsvorkehrungen und Restriktionen. Wir vertreten die Ansicht, dass die Freiheiten unter Gewährleistung der Sicherheit weiter ausgebaut werden müssen. Die AKP ist nicht das einzige Opfer dieser Putschbedrohung in der Türkei. Die gesamte politische Landschaft und die türkische Bevölkerung sind Opfer. Die AKP nutzt diese Opferrolle, um ihre eigene Macht zu stärken. Das ist nicht richtig. Diese Politik wird die Spaltung und die Fronten in der Türkei nur noch weiter verstärken. Weil die Überzeugungen der Parteien derart auseinander gehen, fällt es uns schwer, gemeinsame Kundgebungen oder Demonstrationen zu organisieren.
Was Sie beschreiben, sind die inneren Dynamiken in der Türkei. Wie beurteilen Sie denn die Haltung der EU? Was sind Ihre Erwartungen an Brüssel?
Demirtas: Die EU hat eine klare Haltung zum Putschversuch bezogen. Sie sollte diese Position und ihre ursprüngliche Haltung beibehalten. Ein Putschversuch ist nicht rechtmäßig und kann keinem Land nutzen, sondern ihm nur weiteren Schaden zufügen.
Bei den Maßnahmen, die nach dem Putschversuch beschlossen wurden - Verstöße gegen die Menschenrechte, Folter, die anhaltende Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung - muss die EU dranbleiben. Die EU sollte die Türkei in Sachen Menschenrechte weiter bekräftigen und das Demokratische unterstützen. Die Türkei sollte keine Politik verfolgen, mit der sie sich und in der sie sich von der EU abwendet. Diese Beziehungen zwischen beiden Seiten bringen nur Vorteile, wenn der Rahmen der europäischen Menschenrechtsbestimmungen gewährleistet wird.
Wenn man angesichts der Verletzungen der Menschenrechte und der zunehmenden Restriktionen in der Türkei schweigt, wird die Situation sich nicht verbessern. Falls die Türkei-EU Beziehungen gänzlich zerbrechen, bringt dies für keine der beiden Seiten Vorteile.
Das Interview führte Aydin Üstünel, WDR, für tagesschau.de. Übersetzt aus dem Türkischem von Berfin Orman.