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Nach Polen-Wahl "Es wird viel Krach geben"

Stand: 26.10.2015 16:51 Uhr

International kompromissloser als jetzt - so wird sich Polen unter der neuen nationalkonservativen Regierung verhalten, sagt der Journalist Wielinski zu tagesschau.de. Strippenzieher hinter der künftigen Ministerpräsidentin dürfte ein Altbekannter sein.

tagesschau.de: Warum hat die bislang regierende Bürgerplattform (PO) trotz guter wirtschaftlicher Lage die Wahl so deutlich verloren?

Bartosz Wielinski: Das ist tatsächlich paradox, denn Polen geht es eigentlich gut. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem niedrigen Niveau im einstelligen Bereich. Dennoch hatten die Polen genug von der Bürgerplattform um Ministerpräsidentin Ewa Kopacz.

Einerseits gab es da eine gewisse Hybris der PO. Deren Politiker hielten sich für die Besten und dachten, es sei eine politische Linie, ausschließlich gegen die nationalkonservative PiS zu wettern. Doch vielen Polen hat das nicht gereicht. Denn trotz wirtschaftlicher Errungenschaften - beispielsweise wurden die zentralen Bahnlinien modernisiert und neue Schnellzüge eingesetzt - ist vieles liegengeblieben. Ein zentrales Problem vor allem für junge Polen bleibt zudem, dass sie keine Festanstellung bekommen.

Außerdem hat die Abhöraffäre im vergangenen Jahr der PO erheblich geschadet. Führende Regierungspolitiker wurden in verschiedenen Warschauer Restaurants abgehört; ihre Aussagen empörten das Land und trugen letztlich auch zum Vertrauensverlust bei.

Zur Person

Bartosz Wielinski schreibt für die linksliberale Zeitung "Gazeta Wyborcza". Er ist für die deutschsprachigen Länder zuständig. Von 2005 bis 2009 war er als Korrespondent in Berlin.

"Tusk hat alle Gegner erledigt"

tagesschau.de: Im vergangenen Jahr wechselte der langjährige Premier Tusk als EU-Ratspräsident nach Brüssel. Welchen Anteil hat er am jetzigen Scheitern seiner Partei? 

Wielinski: Während seiner Regierungszeit hat er alle möglichen parteiinternen Gegner erledigt, um seine Macht zu festigen - so wie Kanzlerin Merkel in Deutschland. Als er schließlich nach Brüssel ging und neuer EU-Ratspräsident wurde, waren die möglichen Nachfolger ziemlich schwach. Ewa Kopacz, die dann Regierungschefin wurde, ist im Vergleich zu Tusk nur zweitklassig.

Das offizielle Wahlergebnis in Polen

Bei der Parlamentswahl in Polen hat die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 37,58 Prozent der Stimmen erhalten. Dies geht aus dem amtlichen Endergebnis hervor. Die bisher regierende liberale Bürgerplattform (PO) der scheidenden Ministerpräsidentin Ewa Kopacz erhielt demnach 24,09 Prozent.

Die Verteilung der Sitze will die Wahlkommission erst Dienstagabend bekanntgeben. Laut Nachwahlbefragungen kommt die Partei des früheren Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski mit 242 der 460 Sitze im Parlament auf die absolute Mehrheit. Die PO erhält demnach nur 133 Mandate. Linke Parteien schafften es gar nicht ins neue Parlament.

Nach der für Dienstagabend erwarteten Bekanntgabe der Sitzverteilung legt der nationalkonservative Präsident Andrzej Duda den Termin für die konstituierende Sitzung des Parlaments fest, das spätestens bis zum 24. November erstmals zusammenkommen muss.

tagesschau.de: Die künftige Ministerpräsidentin Beata Szydlo gibt sich moderater als ihr Mentor, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Doch welchen Einfluss hat sie überhaupt? Ist sie nur eine von Kaczynski gelenkte Marionette?

Wielinski: Die Frage lässt sich schwer beantworten. Sicher ist nur: Kaczynski baute seine Partei in den vergangenen Jahren radikal um. Vor zehn Jahren war die PiS eine bunte Mischung verschiedener konservativer Intellektueller. In diesen zehn Jahren verdrängte er regelrecht allen Untreuen aus der Partei. Gewissermaßen gestaltete er sie zu einem religiösen Orden um, in dem es nur noch gefolgsame Anhänger gibt. Ich glaube nicht, dass Szydlo in diesem Umfeld irgendeine unabhängige Politik wird verfolgen können; insofern wird sie bestimmt gelenkt.

"Mit Ängsten vor Flüchtlingen gespielt"

tagesschau.de: Das Thema Flüchtlinge spielte im Wahlkampf eine große Rolle, obwohl es kaum Flüchtlinge in Polen gibt ...

Wielinski: ... das Wort "Flüchtling" kommt bei unseren Politikern dem Wort "Gift" gleich. Viele meiner Landsleute haben massive Angst vor dem Islam und stellen Muslime generell unter Terrorismusverdacht - eben weil sie keine Ahnung von deren Kultur haben. Diese extreme Angst vor dem Islam ist ein typisch osteuropäisches Problem. Mit diesen Ängsten hat man im Wahlkampf gespielt.

Kaczynski warnte davor, Flüchtlinge könnten Seuchen mitbringen - das war auch bewusste Propaganda gegen die Regierung. Denn die hatte auf europäischer Ebene zugestimmt, dass Polen 10.000 Flüchtlinge aufnimmt. Das ist zwar eine geringe Anzahl, hat aber dennoch gewirkt, um die Ministerpräsidentin zu diskreditieren und ihr Verrat vorzuwerfen.

tagesschau.de: Welchen Kurs wird die neue, nationalkonservative Regierung bei diesem Thema einschlagen?

Wielinski: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Polen bei künftigen Verhandlungen in Brüssel zu dem Thema irgendwelchen Kontingenten zustimmen wird. Das wird zu heftigem Streit führen, weil die neue Regierung da nicht mitarbeitet. Sie versteht nicht, dass die Flüchtlingskrise ein gesamteuropäisches Problem ist.

"Allianz der Länder in Mittel- und Osteuropa"

tagesschau.de: Das hört sich nach dem Modell Orban an. Inwiefern wird sich Polen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten auf EU-Ebene verbünden?       

Wielinski: Polens neue Regierung wird die Nähe zu Orban suchen und zugleich den Anlauf unternehmen, eine Allianz der Länder in Mittel- und Osteuropa zu schmieden - als Gegengewicht zu Deutschland. Aber das wird nicht von Erfolg gekrönt sein, weil diese Staaten nicht genügend Einfluss aufbringen. Außenpolitisch wird man also viel Krach machen, erreichen wird man auf diese Weise allerdings nichts. Über Gegengewichte in der EU zu reden, ist zwar gute Propaganda, bringt aber nichts. Man muss Dialoge führen und Kompromisse finden - nicht laut schreien.

tagesschau.de: Abgesehen von möglichen Allianzen in Osteuropa - welche Schritte wird die neue Regierung umsetzen?

Wielinski: Neben der Haltung in der Flüchtlingsfrage wird sich Polen auch auf anderen Feldern querstellen. Denken Sie an die demnächst beginnende Klimakonferenz in Paris. Dort könnte Polen mit einer kompromisslosen Politik die anderen Partner brüskieren. Denn die PiS hat im Wahlkampf mehrfach betont, dass das Land unabhängiger, selbstbewusster auftreten muss - und nicht als Dependance von Brüssel oder Berlin.

"Weniger kompromissbereit"

tagesschau.de: Stichwort Berlin - was wird sich in den Beziehungen Polens zu Deutschland ändern?

Wielinski: Als die PiS schon einmal regierte - von 2005 bis 2007 - spielte sie immer die "deutsche" Karte, wenn es Probleme im Inland gab. Gut möglich, dass sich das wiederholt. Denn ein neuer Streit über geschichtliche Themen ließe sich immer wieder neu entfachen. 2018 wird die Vertriebenen-Ausstellung in Berlin eröffnet. Da wird es bestimmt wieder neuen Krach geben. Bei den polnischen Rechten ist auch die Situation der Polen in Deutschland immer wieder ein Thema, die angeblich in Sachen Sprach- und Kulturförderung benachteiligt sind. Auch dies ließe sich politisch instrumentalisieren. So oder so: Polen wird weniger kompromissbereit sein - und das wird zu neuen Problemen führen.

tagesschau.de: Auch mit Russland?

Wielinski: Mit Russland können die Beziehungen eigentlich kaum schlimmer werden. Die sind schon auf einem Tiefpunkt. Die neue PiS-Regierung wird vermutlich versuchen, die Wrackteile des 2010 im russischen Smolensk abgestürzten Flugzeugs zurückzubekommen. Unter Verweis auf laufende Untersuchungen weigert sich Russland bislang, das Wrack freizugeben.

Wenn die Russen das Verhältnis mit Polen nicht weiter verschlechtern wollen, werden sie dem wohl zustimmen. Dieses Flugzeug hat hohen symbolischen Wert - vor allem für Kaczynski, dessen Bruder Lech als damaliger Präsident in der Maschine verunglückte. Doch selbst, wenn sich irgendwann die Beziehungen zwischen Russland und der EU entspannen, dürfte die neue Regierung das nach Möglichkeit blockieren.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.            

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