Großbritannien Ein Bericht mit Sprengkraft?
In Großbritannien liegt ein Bericht über eine mögliche russische Beeinflussung beim Brexit-Referendum vor. Doch die Regierung verzögert die Veröffentlichung vor der Wahl im Dezember. Warum?
Der Ärger in der britischen Opposition ist groß: Premierminister Boris Johnson gibt einen Bericht des Geheimdienstausschusses im Unterhaus zum Thema russische Einflussnahme nicht frei. Da das Parlament in der Nacht aufgelöst wird, kann es vor der Parlamentswahl am 12. Dezember nicht mehr darüber beraten.
Der Bericht enthält Sicherheitsempfehlungen sowie Untersuchungsergebnisse zu Behauptungen, dass russisches Geld in die britische Politik geflossen ist, dies vor allem vor dem Brexit-Referendum 2016. Der Verdacht ist: Russland könnte die Brexit-Kampagne unterstützt haben, um den Konflikt zwischen Großbritannien und der EU zu schüren.
Johnson weist den Vorwurf der Verzögerung zurück. Berichte wie diese gingen durch eine intensive geheimdienstliche Überprüfung, bevor sie veröffentlicht würden, ließ er über Staatssekretär Chris Pincher erklären.
"Die Konservativen Freunde Russlands"
Labour-Chef Jeremy Corbyn - der häufiger pro-russische Positionen vertritt -, hatte in der Vergangenheit den Konservativen vorgeworfen, mehr als 800.000 Pfund von russischen Oligarchen und ihren Partnern angenommen zu haben.
In der Tat befassen sich unzählige britische Medienberichte mit Kontakten und Spenden von Russen an britische Konservative. Viele Fragen ranken sich um den russischen Diplomaten Sergej Nalobin, der laut "The Guardian" die "Konservativen Freunde Russlands" im britischen Parlament initiiert hatte. Die Parlamentariergruppe wurde 2012 in Anwesenheit von 250 Gästen in der russischen Botschaft in London ins Leben gerufen. Die Gruppe unternahm unter anderem eine Reise nach Moskau und St. Petersburg, bezahlt laut "The Guardian" von der russischen Regierung.
Die Zeitung und andere britische Medien berichteten über eine Nähe Nalobins zu russischen Geheimdiensten, bei denen sowohl sein Bruder als auch sein Vater dienten. Nalobin nannte Johnson in einem Tweet, den er später löschte, einen "guten Freund".
In London lebende Russen spenden zudem ausgiebig an die konservative Partei. Auffällig ist vor allem Lubow Tschernuchin, die Frau eines russischen Ex-Vizefinanzministers. Sie gab 160.000 Pfund an die Konservativen für ein Tennisspiel mit Boris Johnson, der inzwischen zugab, das Match mit ihr gespielt zu haben. Für 30.000 Pfund ergatterte Tschernuchin bei einer weiteren Spendenaktion der Partei ein Essen mit Verteidigungsminister Gavin Williamson.
Dominic Cummings, Berater des britischen Premierministers Boris Johnson
Cummings' Kontakte werfen Fragen auf
Auch Johnsons ohnehin umstrittener Berater Dominic Cummings rückte in den Fokus der Debatte um russische Einflussnahme. Die Labour-Politikerin Emily Thornberry schickte einen Fragenkatalog an die Regierung, nachdem ein Whistleblower mit schweren Bedenken an Labour-Politiker herangetreten war.
Die Fragen drehen sich darum, ob Cummings Hintergrund für die Position so nah am Premierminister ausreichend überprüft wurde. Cummings studierte von 1994 bis 1997 in Russland und war in die Gruppe der "Konservativen Freunde Russlands" involviert.
Russisches Geld für Brexit-Kampagne?
Viele Brexit-Gegner treibt die Frage um, ob und welche Form russischer Einflussnahme es vor dem Brexit-Referendum 2016 gab. Immerhin wäre es der russischen Führung um Wladimir Putin recht, wenn die EU durch Verlust Großbritanniens an politischem Gewicht verlieren würde.
So ermittelte die Untersuchungsbehörde "National Crime Agency" gegen den Geschäftsmann Arron Banks, der die Austrittskampagne "Vote Leave" mit acht Millionen Pfund unterstützt hatte. Allerdings konnte sie ihm nichts Illegales nachweisen und stellte die Ermittlungen ein.
Banks selbst bestritt, Geld aus russischen Quellen erhalten zu haben. Dass er sich mit dem russischen Botschafter Alexander Jakowenko und mit russischen Investoren traf, räumte er allerdings erst nach Medienberichten dazu ein.
Stimmung beeinflusst?
Umstritten ist, wie weit die Kampagnen zum Beispiel auf Facebook die Stimmung in der Bevölkerung und damit das Abstimmungsergebnis beeinflusst haben. Die britische Regierung unter Johnsons Parteifreundin Theresa May hatte 2018 erklärt, sie habe "keine Belege für eine erfolgreiche Nutzung von Desinformation ausländischer Akteure, Russland eingeschlossen, um den demokratischen Prozess im Vereinigten Königreich zu beeinflussen".
Gäbe es keine Belege für russische Einflussnahme auf die britische Politik und insbesondere auf konservative Politiker, hätte die Regierung von Premier Johnson nichts von dem Bericht des Geheimdienstausschusses zu befürchten.
Auch könnte es das Vertrauen in das Abstimmungsergebnis bei der Parlamentswahl und in die Politik generell stärken, wenn Empfehlungen zum Schutz vor ausländischer Einflussnahme umgesetzt würden.