Türkisch-griechische Grenze EU schickt Griechenland Verstärkung
Nach der Grenzöffnung durch die Türkei sind bereits Hunderte in die EU geflohen - sie kamen auf griechischen Inseln an. Athen wirft Ankara vor, den Zustrom gezielt zu organisieren. Frontex schickt Verstärkung.
Wegen der Öffnung der türkischen Grenzen zur Europäischen Union schickt die EU-Grenzschutzbehörde Verstärkung nach Griechenland. Auf Bitten des Landes habe Frontex die Entsendung von zusätzlichen Beamten sowie von Ausrüstung veranlasst, teilte eine Frontex-Sprecherin mit. Zugleich setzte sie wegen eines erhöhten Zustroms von Migranten die Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei auf "hoch".
Frontex hat nach eigenen Angaben knapp 400 Mitarbeiter auf den griechischen Inseln und 60 weitere in Bulgarien stationiert. An der türkisch-griechischen Grenze haben sich Tausende Flüchtlinge versammelt, um in die EU zu gelangen. Die griechische Regierung schickte ihnen Textnachrichten, in der sie davor warnte, die Grenze zu überschreiten, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Einem Augenzeugenbericht zufolge feuerte die griechische Polizei am Grenzfluss Evros Tränengas auf Flüchtlinge, die Steine auf die Sicherheitskräfte geworfen hatten.
Auf Lesbos sind bereits Hunderte Migranten mit Booten aus der Türkei in der EU angekommen.
Hunderte kamen auf Mittelmeerinseln an
Hunderten Migranten gelang das bereits. Sie überwanden die Grenze von der Türkei nach Griechenland, indem sie mit Booten auf drei Mittelmeerinseln gelangten: Sieben Boote mit mehr als 300 Menschen erreichten demnach Lesbos, vier Boote mit 150 Passagieren kamen nach Samos und zwei Boote mit 70 bis 80 Menschen nach Chios.
Während in griechischen Regierungskreisen von rund 3000 Menschen die Rede war, die sich an der Grenze versammelten hätten, bezifferte die Internationale Organisation für Migration die Zahl auf 13.000. Wegen der Lage an der Grenze berief der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis für den Abend eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrats ein.
Athen: Migrationskrise von der Türkei organisiert
Der türkische Innenminister Süleyman Soylu teilte auf Twitter mit, bis Sonntagmorgen hätten 76.358 Migranten über die Provinz Edirne die Grenze passiert. In der Provinz Edirne gibt es Grenzübergänge nach Griechenland und nach Bulgarien. Allerdings berichteten weder Sofia noch Athen über das Eintreffen größerer Zahlen von Migranten.
Griechenlands Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos warf der Türkei vor, den Zustrom von Migranten an der gemeinsamen Grenze organisiert zu haben. Zuvor hatte er die griechischen Grenztruppen inspiziert, die am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros stationiert sind.
Erdogans Entscheidung wegen Eskalation in Idlib
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Samstag angekündigt, Flüchtlinge mit dem Ziel EU die Grenzen passieren zu lassen. "Wir haben die Tore geöffnet", sagte er. Er begründete dies damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte. Dieser sieht eigentlich vor, dass die Türkei Migranten vom Weg in die EU abhält. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.
Hintergrund ist die militärische Eskalation in der syrischen Provinz Idlib. Syriens Machthaber Baschar al-Assad versucht derzeit mit militärischer Unterstützung Russlands, die letzte Rebellenhochburg unter Kontrolle zu bekommen. Deswegen wurden rund 950.000 Zivilisten Richtung Norden an die türkische Grenze vertrieben. International könnte die Türkei gedrängt werden, ihre Grenze zu öffnen und den Syrern Zuflucht zu gewähren. Sie beherbergt bereits 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge.
Nach UN-Angaben sollen mehr als 13.000 Menschen an der Grenze nach Griechenland angekommen sein.
Verschärfte Grenzsicherung von EU-Nachbarn
Als Konsequenz der Erdogan-Entscheidung verschärften die benachbarten EU-Staaten Griechenland und Bulgarien ihre Maßnahmen zur Grenzsicherung. Die griechische Polizei hatte in den vergangenen Tagen Tränengas und Blendgranaten eingesetzt, um die Flüchtlinge zurückzudrängen. Aus Athen hieß es, in den vergangenen 24 Stunden seien fast 10.000 Flüchtlinge an einem "illegalen" Grenzübertritt gehindert worden. Zudem seien mehr als 130 Flüchtlinge festgenommen worden. Die Regierung in Athen hat wiederholt erklärt, Griechenland werde keinen illegalen Grenzübertritt dulden.
Ihren Angaben zufolge wurden auch die Patrouillen in den Meerengen zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Ägäisküste verstärkt. Die stürmischen Winde der letzten Tage haben nachgelassen, die Regierung in Athen befürchtet nun einen größeren Zulauf über die Ägäis.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel verfolgten die Lage an den EU-Außengrenzen zur Türkei mit Besorgnis. "Unsere oberste Priorität ist, dass Griechenland und Bulgarien unsere volle Unterstützung haben", twitterte von der Leyen.
Röttgen: "Hilferuf der Türkei"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), warnte die Europäische Union davor, mit Härte auf die Vorstöße Erdogans zu reagieren. Dessen Ankündigung, die Grenzen zu öffnen, habe zwar "die äußere Form einer Drohung", sei aber dem Inhalt nach "ein Hilferuf" an Europa, sagte Röttgen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Erdogan sei mit seinem Versuch gescheitert, in Syrien mit Russland zusammenzuarbeiten, und genau das signalisiere er jetzt dem Westen. Er wolle sagen: "Seht her, ich bin mit meiner Russland-Politik gescheitert, und jetzt brauche ich die Europäer."
Grüne dringen auf EU-Lösung
Parteichefin Annalena Baerbock sprach sich dafür aus, Kontingente von Migranten auf die EU-Staaten zu verteilen. "Wenn nicht alle mitmachen, müssen einige vorangehen und dafür finanzielle Hilfe erhalten", sagte sie der "Welt". Es gehe nicht um ein Problem Griechenlands, sondern es gehe an den Außengrenzen um die ganze EU.
Konkret gelte es, unter Hochdruck Erstaufnahmeeinrichtungen an den EU-Außengrenzen aufzubauen, erklärte Baerbock. "Dort müssen Flüchtlinge, die über die Grenze gelangen, schnell registriert, einer Sicherheitsprüfung und einem Datenabgleich unterzogen werden." Deutschland solle vorausschauend seine eigenen Kapazitäten an Flüchtlingsunterkünften wieder aktivieren, fügte sie hinzu.