Hintergrund zur Wahl in Georgien Der Preis des Abgehobenseins
Wie auch immer das neue Parlament in Georgien besetzt sein wird, die Regierungspartei von Präsident Saakaschwili musste bei der Wahl aber auf jeden Fall eine Niederlage einstecken. Dies liegt nicht allein am starken Gegner. Georgien stehen unruhige Tage bevor.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de, zzt. Tiflis
Die Wahllokale waren noch eine halbe Stunde geöffnet, da fuhr bereits der erste Autokorso mit elf Fahrzeugen und den Fahnen des Oppositionsbündnisses "Georgischer Traum" über den zentralen Freiheitsplatz. Am Rande begannen sich andere Anhänger von Oppositionsführer Bidsina Iwanischwili zu versammeln. Ein Einsatzfahrzeug der Polizei fuhr davon. Lediglich 100 Meter weiter vor dem Wahllokal Nr. 4 blieben zwei Polizisten zurück. Dort zählten etwa 15 Frauen und Männer die Stimmzettel aus.
Wenig später verkündete Iwanischwili vor seinem Hauptquartier in der Altstadt den Sieg. "Gilocav!" (Glückwunsch) und "Gaumardjos" (Mit uns ist der Sieg!) schallte es über den Platz. Bis spät in die Nacht feierten Iwanischwilis Anhänger auf dem Freiheitsplatz, während sich nebenan im Marriott Hotel die Berater und Lobbyisten der Regierungspartei den Kopf zerbrachen über die Wahlergebnisse. Wie am Ende das Parlament besetzt sein wird, zeigt sich erst, wenn sowohl die Direktkandidaten als auch die Sitze, die per Verhältniswahlrecht vergeben werden, verteilt sind.
Hoffnung auf einen vermögenden Wohltäter
Dennoch belegen schon die Wahlprognosen einen enormen Erfolg für ein Oppositionsbündnis, dessen Führer noch vor einem Jahr ein Mythos war und von dem es bis dato lediglich ein Foto und ein Interview in einer russischen Zeitung gegeben hatte. Dass dem Multi-Milliardär Iwanischwili schon damals der Ruf eines Gönners und Wohltäters vorauseilte, erklärt zum Teil seinen heutigen Erfolg.
Da er sechs sehr unterschiedliche Parteien unter dem Schirm "Georgischer Traum" vereinigt, blieben kaum noch wählbare Alternativen in den Reihen der Opposition. Die bisher im Parlament vertretene Partei der Christdemokraten zum Beispiel gilt als eine der Regierung nahestehende Oppositionspartei.
Allerdings fand sich eine gewichtige Kraft mehr oder weniger deutlich auf Seiten des Milliardärs ein: die einflussreiche orthodoxe Kirche. Immerhin hatte sich Iwanischwili auch ihr gegenüber großzügig gezeigt.
Gewalt-Video als Auslöser für offene Debatte
Die regierende "Nationale Bewegung" muss sich den Stimmverlust aber auch zu einem großen Teil selbst zuschreiben. Die Veröffentlichung der Videos mit Gewaltszenen aus Gefängnissen öffnete ein Ventil in der Glocke über der Bevölkerung. Plötzlich sprachen die Menschen nicht nur offen über die Gewalt in den Gefängnissen. Sie äußerten sich auch zu Kündigungen von Staatsbeamten, die der Opposition nahestehen, und anderen Formen des Drucks auf Regierungskritiker. Der Bann war gebrochen. Die Menschen nahmen nicht mehr ernst, was die Regierung Iwanischwili vorwarf: Ein Mann des Kreml zu sein und einer, der sich mit den "Dieben im Gesetz" eingelassen hat - einem kriminellen Netzwerk noch aus Sowjetzeiten, das im Ausland überlebt hat.
Präsident Saakaschwili hat stark an Ansehen eingebüßt. Zu unstet tritt er auf, zu hochfliegend waren seine Bau- und Modernisierungspläne, zu weit weg waren sie am Ende von der Bevölkerung, die eben nicht nur aus der westlich gebildeten Elite in Tiflis besteht.
Was, wenn Iwanischiwili nicht Premier wird?
Wie auch immer die Sitzverteilung im Parlament am Ende aussieht - das langjährige Übergewicht der Regierungspartei ist dahin. Allerdings steht zu befürchten, dass Iwanischwilis Bündnis an den inneren Widersprüchen zerbricht. Fraglich ist, ob sich der Milliardär auf mühsame Parlamentsarbeit einlässt. Im Juli auf seine Pläne nach der Wahl befragt, hatte er nur eine Antwort: "Ich werde Premierminister."
Doch selbst wenn er genug Stimmen auf sich vereinen könnte, der Präsident setzt das Kabinett und den Regierungschef ein. Nach der großen Schmutzkampagne der vergangenen Woche wäre es eine gewaltige Herausforderung für die beiden größten Opponenten, gemeinsam politische Arbeit zu betreiben. Gelänge es, würde Georgien tatsächlich beweisen, dass es einen weiteren Schritt in Richtung Demokratie geht. Der Westen müsste aber damit rechnen, dass sich das Reformtempo verlangsamt und der Konservatismus der Bevölkerung stärker hervortritt.
Unweigerlich wird die Euphorie der Wahlnacht in kalte Nüchternheit umschlagen. Denn selbst als Premier und mit all seinem Vermögen könnte Iwanischwili die Menschen nicht über Nacht reich machen. Eines ist gewiss: Sollten die enormen sozialen Probleme nicht angepackt und die Kontrolle an der Staatsspitze weiter so gebündelt bleiben, wird sich neuer Protest regen. Unter den Studenten findet sich eine neue Generation, die in der Demokratie mehr sieht als eine Modernisierung und Konsolidierung des Staates, als liberale Reformen und eine Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene.