Joachim Gauck und François Hollande

Gauck gedenkt der Opfer eines SS-Massakers Hand in Hand am Ort der Schande

Stand: 04.09.2013 19:16 Uhr

Als erster deutscher Politiker hat Bundespräsident Gauck an der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Massakers von Oradour-sur-Glane teilgenommen. 1944 hatte die Waffen-SS fast alle Einwohner des französischen Dorfes getötet. Ergriffen reichten sich Gauck und Frankreichs Staatschef Hollande die Hände.

Joachim Gauck geht in Begleitung von François Hollande und den letzten zwei Überlebenden des Massakers, das die Deutschen hier vor 70 Jahren verübt haben, durch die Ruinen von Oradour-sur-Glane. "Warum Oradour?", fragt Gauck seine Begleiter. Er stellt sich dieselbe Frage, die die Franzosen sich seit 70 Jahren stellen. Warum haben die Deutschen hier an einem halben Tag ein ganzes Dorf ausgelöscht und Kinder und Frauen in der Kirche verbrannt? 

Die Erinnerung an dieses Grauen ist heute noch spürbar in den Ruinen von Oradour-sur-Glane. Der Deutsche und der französische Präsident waren in der Kirche ohne Dach so ergriffen, dass sie sich gemeinsam mit dem 88-jährigen Überlebenden des Massakers an den Händen fassten und umarmten.

Ein Kinderwagen als Auslöser

Eine spontane Geste, wie Präsident Hollande betonte: "Was Präsident Gauck und mich so bewegt hat, war dort diesen verbrannten Kinderwagen zu sehen. Das hat uns daran erinnert, dass in dieser Kirche auch Kinder und Babys verbrannt sind. Nur dieser Kinderwagen ist geblieben, das ist für Präsident Gauck und mich das prägende Bild dieser Tragödie. Und diesen bewegenden Moment haben wir nicht geplant." 

Und dennoch wird es wohl eines der Bilder sein, die von diesem Besuch bleiben. Es ist ein historischer Besuch, denn zum ersten Mal seit dem Massaker ist ein deutscher Politiker an diesen Ort der deutschen Schande gekommen. Für die Bewohner des neuen Oradour-sur-Glane, das nur wenige Meter von den Ruinen entfernt erbaut wurde, ist es ein wichtiger aber auch schwieriger Tag.

Vor 15 Jahren wäre der Besuch zu früh gewesen

Auch heute darf in Oradour-sur-Glane zwei Wochen rund um den Jahrestag des Massakers kein Fußballspiel, kein Fest stattfinden. So präsent ist die Erinnerung und auch die Verletzung, räumt der Bürgermeister des 2500-Seelen-Dorfes ein: "Es liegt auf der Hand, dass die Wunden und Narben eines solchen Verbrechens viel Zeit zum Heilen brauchen. Und wenn sie mich fragen, ob dieser Besuch vor 15 Jahren hätte stattfinden können, dann muss ich Ihnen sagen: Nein. Dafür wären wir noch nicht bereit gewesen."

Nun aber ist der höchste deutsche Repräsentant nach Oradour-sur-Glane eingeladen worden, 69 Jahre nach dem Massaker. Die Anregung dazu kam vom französischen Präsidenten, der den Besuch in seiner Rede in eine Reihe mit den großen Momenten der deutsch-französischen Freundschaft stellte, wie dem gemeinsamen Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident Francois Mitterrand in Verdun.

 

"Erschütterung und Abscheu"

Joachim Gauck brachte in Oradour-sur-Glane vor allem seine Dankbarkeit zum Ausdruck, dass er als Deutscher im Geiste der Versöhnung empfangen wurde. In das Goldene Buch von Oradour-sur-Glane schrieb er, dass er mit Erschütterung und Abscheu vor dem stehe, was die Deutschen hier angerichtet haben. 

Nach dem heutigen Tage aber kann man sagen: Bisher stand Oradour-sur-Glane nur für das größte Kriegsverbrechen, das die Deutschen in Frankreich verübt haben, heute steht es auch für die deutsch-französische Versöhnung.