Proteste gegen Machthaber Gaddafi "Marsch der Millionen" erwartet

Stand: 25.02.2011 14:12 Uhr

Mit einem "Marsch der Millionen" auf Tripolis soll Machthaber Gaddafi gestürzt werden - jedenfalls, wenn es nach seinen Gegnern im Osten des Landes geht. Allein in der Stadt Bengasi starben bislang Hunderte Menschen bei den Protesten. Ex-Justizminister Abdel Galil warnte unterdessen vor chemischen Waffen in Libyen.

Die Lage in Libyen ist weiter äußerst kritisch. Einwohner der Hauptstadt Tripolis berichteten, die Opposition habe per SMS zu Demonstrationen gegen Staatschef Muammar al Gaddafi aufgerufen. "Lasst uns diesen Freitag zum Freitag der Befreiung machen" hies es darin. Zuvor hatte es bereits ungesicherte Berichte gegeben, wonach die Regimegegner zu einem "Marsch der Millionen" auf Tripolis aufriefen, mit dem Ziel, Gaddafi zu stürzen. In Tripolis lebt ein Drittel der libyschen Bürger.

Gaddafis Sohn Saif al Islam sagte, die Herrscherfamilie werde in Libyen "leben und sterben". Befragt zu Alternativen angesichts der zunehmenden Protestbewegung sagte er: "Plan A ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan B ist es, in Libyen zu leben und zu sterben, Plan C ist es, in Libyen zu leben und zu sterben."

Auch die libysche Führung verschickt SMS. Die Onlineausgabe der libyschen Zeitung "Libya al-Youm" berichtete, in Kurzmitteilungen sei mitgeteilt worden, dass Demonstrationen verboten seien. Außerdem werde den Menschen untersagt, arabische Satellitensender zu schauen. Diese verbreiteten Gerüchte und hetzten das Volk auf, hieß es. Ein Libyer berichtete, er habe eine SMS bekommen, die zur Rückkehr an die Arbeitsplätze auffordere. Auch die Öffnung der Schulen wurde angekündigt. In Tripolis waren die Läden aber weiter geschlossen, die Straßen verlassen.

Im Westen wird weiter geschossen

Während die Menschen in Ost-Libyen die "Befreiung" ihrer Region feiern, wird im Westen des Landes noch geschossen. Ausländer, die in der Stadt Misrata festsitzen, sagten der Nachrichtenagentur dpa am Telefon: "Es gibt große Protestaktionen und wir hören immer wieder Schüsse." Oppositionelle hatten zuvor Videos von Demonstrationen in den Städten Al-Sawija und Tadschura im Internet veröffentlicht.

In der östlichen Stadt Bengasi, wo die von Gaddafi befehligten Truppen keine Präsenz mehr haben, versammelten sich Hunderttausende, um gegen das Regime zu demonstrieren. Ein Polizeioffizier sagte, am Mittwoch und Donnerstag hätten sich einige Bewohner von Bengasi auf den Weg nach Tripolis gemacht, um dort für den Sturz von Gaddafi zu demonstrieren. Sie hätten keine Waffen mitgenommen. "Heute ist aber niemand mehr nach Tripolis gefahren", fügte er hinzu.

Keine gesicherten Informationen

In Libyen unterliegen die Medien einer strengen staatlichen Zensur. Ausländische Journalisten sind nicht zugelassen. Um dennoch möglichst umfassend aus Libyen zu berichten, hat sich tagesschau.de dazu entschieden, auch auf Augenzeugenberichte und YouTube-Videos zurückzugreifen. Überprüfen lassen sich die Informationen zum Teil nur im Osten des Landes, wohin erste Journalisten reisen konnten.

Augenzeugen zufolge haben sich in Bengasi Bürgerkomitees gebildet, um Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen. Es seien Komitees für Zoll, Wasser und selbst für den Fischmarkt gegründet worden, sagte der griechische Ingenieur Stelios Bogiatzakis der Nachrichtenagentur AFP.

Im Zuge des Aufstands sei es auch zu Plünderungen gekommen. In Tobruk "wurde alles geplündert und zerstört, die ausländischen Firmen, das Ressort, das wir bauten, doch ohne Gewalt gegen Ausländer", sagte Bogiatzakis, der bis zu seiner Ausreise mit anderen Griechen im schwedischen Konsulat ausgeharrt hatte. Die Verkehrspolizei sei inzwischen zurückgekehrt und auch Soldaten in Zivil würden sich bemühen, die Ordnung wiederherzustellen.

Die Bengasi kontrollierenden Rebellen sicherten die Einhaltung der Öllieferverträge zu. "Die Ölverträge (mit ausländischen Firmen), die legal und im Interesse des libyschen Volkes sind, werden wir erfüllen", sagte Dschammal bin Nur, Richter und Mitglied der Koalition, die nach eigenen Angaben die 700.000-Einwohner-Stadt vorübergehend verwaltet, der Nachrichtenagentur Reuters.

In der vergangenen Nacht waren die verbliebenen regierungstreuen Truppen weiter äußerst brutal gegen Regimegegner vorgegangen. In der Stadt Al-Sawija hinterließen Gaddafi treue Soldaten nach Schilderung von Aufständischen ein "Schlachthaus". Aus der Hafenstadt Bengasi wurde von weiteren Protesten berichtet. Allein dort kamen bei Kämpfen zwischen regimetreuen Truppen und Aufständischen in den vergangenen Tagen mindestens 390 Menschen ums Leben. Das sagte der Sicherheitschef der ostlibyschen Stadt, Nuri al-Obeidi, der sich inzwischen den Aufständischen angeschlossen hat, der Nachrichtenagentur dpa. Rund 1300 Menschen seien verletzt worden.

Regime will Löhne anheben

Erstmals scheint die libysche Regierung zu versuchen, die Unterstützung der Bürger zu erhalten: Das Staatsfernsehen meldete, dass das Regime vorhabe, die Löhne anzuheben, Hilfsleistungen für Lebensmittel zu erhöhen und allen Familien finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.

Das libysche Außenministerium veröffentlichte in der Nacht einen Aufruf an die "fünf Supermächte". Darin hieß es, diese sollten sich selbst davon überzeugen, dass die libysche Armee nur Waffendepots in der Wüste bombardiert habe und keine zivilen Ziele.

"Gaddafi wird verbrannte Erde hinterlassen"

Unterdessen warnte Mustafa Abdel Galil, der Anfang der Woche als libyscher Justizminister zurückgetreten war, im Sender Al Dschasira, dass Gaddafi über chemische Waffen verfüge und nicht zögern werde, sie einzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn die Hauptstadt Tripolis bedroht sei, meinte Galil. "Wir rufen die internationale Gemeinschaft und die UN auf, Gaddafi von der Verfolgung seiner Pläne in Tripolis abzuhalten", sagte er nach einem Treffen mit Stammesführern aus dem Osten Libyens in Al Badhia. "Wenn er zum Schluss wirklich unter Druck steht, ist er zu allem fähig. Gaddafi wird nur verbrannte Erde hinterlassen." Libyen soll noch über Bestände des gefährlichen Kampfstoffes Senfgas verfügen.