Experte über Führungswechsel "Man darf von China keine Wunder erwarten"
Bei ihrem China-Besuch hat sich die Kanzlerin auch mit der künftigen politischen Spitze getroffen. Allzu viel Hoffnung auf eine Öffnung des Landes gebe es aber auch nach dem Führungswechsel nicht, sagt Experte Sandschneider gegenüber tagesschau.de. Einzig bei den Menschenrechten könnte sich etwas bewegen.
tageschau.de: Die Kanzlerin trifft sich bei ihrer China-Reise auch mit den beiden designierten Nachfolgern von Premier Wen und Staats- und Parteichef Hu Jintao. Wie schätzen Sie die beiden ein?
Eberhard Sandschneider: Der designierte Präsident Xi Jinping und der designierte Premier Li Keqiang sind erfahrene Politiker, die bereits eine ganze chinesische Legislaturperiode lang im Nachfolgerstatus waren und üben konnten, was in Zukunft ihr Job ist. Spitzenkandidaten dieser Art werden immer langfristig von ihren Vorgängern ausgesucht. Aber spannender ist die Frage, wer ins Politbüro nachrücken wird. Präsident und Premier sind die Gallionsfiguren. Sie können es sich nicht leisten, über den Kopf des Politbüros hinweg Politik zu machen. Da ist Einbindung und Koordinierung gefragt und das hat in den letzten Jahren auch ganz gut funktioniert.
tageschau.de: Welche Rolle könnte die neue Führung bei Chinas wirtschaftlicher Entwicklung spielen?
Sandschneider: So lange das Land politisch und sozial stabil bleibt, wird sich vermutlich an der bisherigen Entwicklung nichts ändern. China wird weiter sein wirtschaftliches Gewicht und seinen Einfluss in der Welt steigern.
Die neue Führung hat in erster Linie die Verantwortung, den Erfolg der vergangenen 30 bis 35 Jahre fortzusetzen. Das ist aber gar nicht so einfach. Die Hochphase des Wirtschaftswachstums ist vermutlich vorbei. Andererseits hat das Wachstum natürlich auch eine ganze Reihe von Problemen geschaffen, im sozialen Bereich, im Umweltbereich, aber auch in Bezug auf Chinas Einbindung in die globale Wirtschaft. All diese Probleme müssen bewältigt werden und da sind die Verantwortlichen nicht gerade zu beneiden. Sie müssen beweisen, dass sie mit dieser gewaltigen Verantwortung genauso erfolgreich umgehen, wie ihre Vorgänger.
"Die Hoffnungen des Dalai Lama sind verfehlt"
tageschau.de: Wie wird sich das Verhältnis zum Westen und zu Deutschland künftig gestalten?
Sandschneider: Ich gehe davon aus, dass ein gesunder Pragmatismus beide Seiten kennzeichnen wird. China und Deutschland sind wichtige Wirtschaftspartner, das wissen beide Seiten. Natürlich wird es gelegentlich auch mal politischen Dissens geben. Das war in der Vergangenheit ja auch nicht anders.
tageschau.de: Könnte der Führungswechsel eine Entspannung im Tibet-Konflikt herbeiführen? Der Dalai Lama hat diese Hoffnung geäußert.
Sandschneider: Die Hoffnungen des Dalai Lama sind vermutlich verfehlt. Die Tibet-Problematik bleibt aus chinesischer Sicht hochgradig sensibel. Da wird es keine wesentlichen Änderungen geben. Das kann sich eine neue Führung gar nicht leisten, weil sie auch mit dem heiklen Problem des wachsenden Nationalismus im Land umgehen muss.
tageschau.de: Wie könnte es mit der Situation der Menschenrechte allgemein weitergehen? In der letzten Zeit gab es wieder eine härtere Gangart gegenüber Journalisten.
Sandschneider: Hier wird es wohl Schritt für Schritt vorangehen, so wie auch schon in der Vergangenheit. Insgesamt hat sich die Situation deutlich verbessert. Trotzdem sind die Rahmenbedingungen natürlich weit von unseren Erwartungen und Standards entfernt. Das wird immer mal wieder schwanken. Und gerade in Zeiten von personalpolitischen Veränderungen ist die Parteiführung in Peking außerordentlich sensibel und reagiert manchmal nervös. Deshalb wurden in letzter Zeit die Arbeitsbedingungen von Journalisten eingeschränkt. Man darf von einem Land wie China diesbezüglich keine Wunder erwarten. Da ist Geduld angebracht.
"Die prominenten Dissidenten spielen in China gar keine Rolle"
tageschau.de: In den westlichen Medien werden immer nur die Namen einzelner Dissidenten bekannt. Wie problematisch schätzen Sie die Situation insgesamt ein?
Sandschneider: Das ist schwer zu sagen. Aber wir reden hier von ein paar Hundert radikalen Systemgegnern, die westliche Systemvorstellungen einfordern. Einzelne Namen werden dann im Ausland regelrecht zu Helden stilisiert. In China selbst spielen die aber gar keine große Rolle.
Die Grundregel für jeden in China heißt: Das politische System setzt klare Grenzen dessen, was erlaubt ist und was nicht. Wer sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, kann relativ frei diskutieren, die Betonung liegt auf relativ: über Umwelt, Menschenrechte, Wahlen, auch über Demokratie. Wer aber die Grenzen dessen überschreitet, was erlaubt ist, beispielsweise die führende Rolle der Partei antastet, der weiß, dass er Schwierigkeiten bekommt. Die prominenten Dissidenten sind bereit, diese Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Sie setzen dieses Risiko zum Teil bewusst ein, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
"Die Rolle des Militärs wird sich nicht fundamental ändern"
tageschau.de: Das Militär in China scheint sich in Stellung zu bringen, um mehr Einfluss zu bekommen. Könnte das Erfolg haben?
Sandschneider: Die Volksbefreiungsarmee ist traditionell nicht eine Armee des Landes, sondern der Partei. So hat sie sich in ihrer gesamten Geschichte verhalten. Immer dann, wenn die politische Führung uneins war, sind die Militärs auch als Garanten für die Stabilität des Systems aufgetreten. Das galt insbesondere auch für die Phase der Kulturrevolution.
Mittlerweile haben die Militärs ihre nachgeordnete, dienende Rolle wieder akzeptiert. Aber gelegentlich melden sie sich mit bestimmten Wunschvorstellungen. Das tut aber auch das amerikanische Militär, das tut ja sogar die deutsche Bundeswehr. Ich denke nicht, dass sich die Rolle des Militärs fundamental ändert. Es sei denn, das Land rutscht in eine tiefgreifende Krise oder die politische Führung ist gespalten. Das sind immer Situationen, in denen das Militär dann auch zur politischen Kraft wird.
tageschau.de: Was hat es zu bedeuten, dass Präsident Hu zwei weitere Jahre Vorsitzender der zentralen Militärkommission bleiben wird?
Sandschneider: Es ist mittlerweile üblich in China, dass der letzte Amtsinhaber diese wichtigste Machtposition noch geraume Zeit behält, bevor er sie an seinen Nachfolger weitergibt. Erst wenn dieser Schritt vollzogen ist, ist der Personalwechsel endgültig abgeschlossen. Das ist auch beim vorherigen Führungswechsel so gewesen. Man darf nicht vergessen, dass diese Position die einzige ist, die Mao Zedong Zeit seines Lebens nie abgegeben hat. Dort kulminiert Machtpolitik.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.