Frankreichs Rentenreform Macrons heikelstes Projekt
Die Rentenreform ist das wohl schwierigste Projekt in der zweiten Amtszeit von Frankreichs Präsident Macron. Im Parlament soll der Entwurf heute vorgestellt werden. Schon vorher zeichnen sich Sorgen und deutliche Ablehnung ab.
Crystelle hatte sich auf die Rente gefreut und wird nun wohl zwei Jahre länger darauf warten müssen: "Rente mit 60, das war gut. 62 - okay. Aber 64, das geht nicht."
Seit 35 Jahren arbeitet Crystelle als Kassiererin, und der Job, sagt sie, gehe langsam an die Substanz: "Die Arbeit ist schon sehr hart - mental, aber auch körperlich. Ich muss viel heben, das strengt an."
Erste Kernpunkte durchgesickert
Renteneintritt wohl mit 64 statt wie bisher mit 62: Das ist einer der zentralen Punkte der Reform, die bisher in den französischen Medien durchgesickert sind. Wer ohne Abschläge in Rente gehen möchte, muss 43 Jahre lang Beiträge gezahlt haben, danach soll die Mindestrente aber 1200 Euro betragen.
Wer nicht auf 43 Beitragsjahre kommt, soll trotzdem mit spätestens 67 abschlagsfrei in Rente gehen können.
Ein wichtiges Ziel der Regierung ist die Entlastung der Rentenkassen. Zwar haben die in den vergangenen beiden Jahren Überschüsse gemacht. Bis 2032 werde sich die Situation aber deutlich verschlechtern, hatte das unabhängige Expertengremium "Conseil d’orientation des retraites" im September in seinem jährlichen Bericht gewarnt.
Die Präsidentenpartei zeigt sich entschlossen
Aurore Bergé ist Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei "Renaissance" im Parlament. Aus ihrer Sicht führt an der Reform kein Weg vorbei.
Einen "gemeinsamen Kraftakt" müsse es jetzt geben, fordert sie - "also mehr arbeiten und später in Rente gehen". Und wenn die Reform auch unbeliebt sei, heiße das nicht, dass sie nicht umgesetzt werden müsse.
Ein unvollendetes Projekt
Schon 2019 hatte es einen Anlauf für diese Reform gegeben - und heftigen Widerstand von Gewerkschaften und Bevölkerung. Trotzdem hatte die Regierung die Reform durchs Parlament gedrückt.
Die Umsetzung wurde wegen der Pandemie dann aber auf Eis gelegt. Premierministerin Elisabeth Borne hat nun die undankbare Aufgabe, das unbeliebte Projekt zu Ende zu bringen.
Umfragen zeigen Ablehnung
Laut Umfragen lehnt eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen die Reform ab. Viele sehen darin vor allem einen Ausdruck sozialer Härte und eine Sorge mehr in Zeiten von Inflation und hohen Energiepreisen.
Tatsächlich hätten die Pläne, soweit sie bisher bekannt sind, noch ein paar blinde Flecken, findet Wirtschaftswissenschaftler Thomas Porcher. Er warnt davor, dass die Reform diejenigen am härtesten trifft, die in körperlich anstrengenden und schlecht bezahlten Jobs arbeiten.
Die am wenigsten Privilegierten haben im Schnitt noch zehn Lebensjahre, in denen sie Rente beziehen - und davon will man ihnen noch zwei oder drei abziehen. Außerdem zeigen Studien von Gewerkschaften, dass für 40 Prozent der Arbeiternehmer die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Und mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer sagt: Meinen Job kann ich mit 60 nicht mehr machen.
Frühere Rente für härter Arbeitende
Die Regierung betont allerdings, dass Menschen in besonders harten oder gefährlichen Berufen auch künftig das Recht haben sollen, früher in Rente zu gehen. Die Kriterien dafür sind allerdings noch offen - ebenso wie die Frage, was mit denen ist, die besonders früh angefangen haben zu arbeiten.
Eine weitere wichtige Frage, die im Rahmen der Reform noch nicht geklärt ist: Wie können auch ältere Menschen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden? Nach Zahlen des französischen Arbeitsministeriums waren Ende 2021 nur gut ein Drittel der 60- bis 64-Jährigen noch beruflich aktiv.
Macrons Vermächtnis
Für Präsident Emmanuel Macron ist die Rentenreform das wichtigste Projekt seiner zweiten Amtszeit - ein Projekt, das sein politisches Vermächtnis werden soll. Im Parlament hat er sich dafür mit einiger Mühe die Unterstützung der Konservativen "Les Républicains" gesichert, die die Reform nun offenbar mittragen wollen.
Die Gewerkschaften allerdings haben unisono heftige Proteste angekündigt; auch die, die eigentlich als reformorientiert gelten. Schon kurz nach der Vorstellung der Pläne soll es am Abend ein gemeinsames Treffen geben, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Cyril Chabanier, Vorsitzender des Gewerkschaftsbunds der christlichen Arbeiter, kündigt schon Demonstrationen an, gemeinsam mit anderen Gewerkschaften - wenn sich die Ankündigungen bestätigen und das Renteneintrittsalter angehoben wird.
Am 23. Januar soll der französische Ministerrat die Reformpläne beschließen. Ab Ende Januar soll das Projekt dann im Parlament beraten werden. Doch die Regierung und Präsident Macron müssen sich auf heftigen Gegenwind und eine mögliche Welle von sozialen Protesten einstellen.