Flüchtlingshilfe in der Türkei Abseits der EU-Milliarden
Kleine Hilfsorganisationen versorgen in türkischen Flüchtlingslagern Schutzsuchende. Auf Finanzhilfen der Europäischen Union müssen sie dabei verzichten. Die Anträge sind zu komplex.
Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul
Rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge leben in der Türkei, so viele wie in keinem anderen Land. Vor drei Jahren schloss die EU mit Ankara den Flüchtlingspakt. Damit sagte Brüssel Hilfen in Milliarden-Höhe zu.
Viele Hilfsorganisationen versorgen Flüchtlinge allerdings ganz ohne Zuschüsse. Denn die Formalitäten rund um die Anträge seien viel zu kompliziert, heißt es immer wieder. TIAFI etwa kümmert sich mit dem baden-württembergischen Verein "3 Musketiere" vor allem um syrische Frauen und Kinder in der Region Izmir an der türkischen Ägäis. Weil Spenden nicht ausreichen, sind kreative Ideen gefragt.
In einer heruntergekommenen Fabrikhalle werden die Flüchtlinge versorgt.
Anne O'Rourke steht an der Eingangstür einer heruntergekommenen Fabrikhalle. Hosgeldiniz, sagt sie immer wieder auf Türkisch. Damit begrüßt sie türkische Männer aus der Nachbarschaft, die meisten sind obdachlos. Hier kochen syrische Frauen jeden Tag 250 Essen - nicht nur für syrische Flüchtlinge, sondern für alle, die Hilfe brauchen, erklärt die Irin. Sie lebt schon seit vielen Jahren in der Region Izmir.
"Allein als Frau im Armenviertel - das ist nicht leicht"
"Normalerweise bekommen die Syrer die Hilfe. Aber jetzt können sie der Gemeinde etwas zurückgeben", sagt O'Rourke. "Das ist gut für ihr Selbstwertgefühl. Und es ist auch für die Gemeinde gut, dass die sieht, das die Frauen sich integrieren und teilhaben wollen, dass sie helfen wollen."
Der Fokus liegt aber auf syrischen Frauen und deren Kindern. In einem Nebenraum ist ein improvisierter Kindergarten eingerichtet mit roten Luftballons an der Decke. Die Kleinen sitzen mit ihrem syrischen Betreuer im Kreis.
In einem Nebenraum ist ein improvisierter Kindergarten eingerichtet.
Firda aus Aleppo lebt mit ihren beiden Jungs und ihrer kranken Mutter schon seit sieben Jahren in der Türkei - ihr Mann ist in Deutschland und kümmert sich nicht mehr. "Allein als Frau im Armen-Viertel von Izmir - das ist nicht leicht", erzählt die 32-Jährige. Vor allem wenn Männer das mitbekämen, dann beobachteten sie sie. Aber Gott sei Dank sei noch nie was passiert.
Anträge viel zu aufwendig
Die Hilfsorganisation TIAFI ist für sie wie eine Familie. Sie fühlt sich geborgen - und kann noch ein bisschen Geld verdienen. Sie nähen hier Taschen und Rucksäcke und verkaufen sie im Internet über "3 Musketiere". Geld sei immer knapp, seufzt Anne O'Rourke. Mit den Spenden kommen sie kaum über die Runden. Und von den EU-Milliarden bekommen sie nichts ab. Die Anträge seien kompliziert, die Bürokratie für eine kleine Hilfsorganisation wie TIAFI viel zu aufwendig.
"Wir haben hier nicht erst ein Büro aufgemacht, schreiben keine Berichte oder machen Statistiken", erklärt sie. "Wir sind hier für die Leute da, geben ihnen etwas zu essen. Wir versuchen, für sie Unterkünfte zu finden, begleiten sie ins Krankenhaus, versuchen Plätze für ihre Kinder in den Schulen zu finden und ihnen beim Türkisch lernen zu helfen."
Einer jungen Frau hat TIAFI auch etwas Startkapital gegeben: "Erst hat sie damit Parfüm gekauft, dann Parfüm und Eyeliner, dann Parfüm, Eyeliner und Wimperntusche. Jetzt hat sie ein paar Mädchen, die in der Nachbarschaft für sie Kosmetik verkaufen", so die Irin.
An einer Wand hängen Bilder, die Kinder gemalt haben.
Ein Lichtblick für Anne O’Rourke in all dem Elend. Sie bleibt vor einer Reihe Bilder an der Wand stehen. Kinder haben sie gemalt. Auf einem ist ein kleiner Junge zu sehen, wie er fröhlich am Strand spielt, und einmal, wie er tot am selben Strand liegt. Der achtjährige Mohammed hat gemalt, wie ihm Bomben das Herz zerreißen. Immer sind die Bilder düster, sagt sie, mit noch mehr Bomben.
Der achtjährige Mohammed hat gemalt, wie ihm Bomben das Herz zerreißen.
"Ich helfe einfach gern"
Regelmäßig kommen arabisch-sprechende Psychologen in die alte Fabrikhalle, um mit den traumatisierten Kindern und ihren Müttern zu arbeiten - ehrenamtlich. Anne selbst bietet Gesprächskreise an, um bei den Frauen wieder ein bisschen Hoffnung zu wecken: "Ich hab viele Mütter getroffen, einige von ihnen waren noch richtig jung, gerade mal 26, 27. Und die haben zu mir gesagt, mein Leben ist vorbei. Aber das ist schon okay. Ich will nur, dass meine Kinder in die Schule können und ein gutes Leben haben werden", sagt sie.
Auch Ahmet aus Damaskus denkt so: "Ich will nach Europa, um da eine Zukunft zu haben, aber eine Zukunft für meine Kinder, damit die an die Universität gehen können. Ich sehe sie später vielleicht als Arzt, Anwalt oder Ingenieur. Denn ich hab' in Syrien nicht weiter studieren können. Meine Frau ist Ingenieurin, hat aber nicht arbeiten können."
Der 28-Jährige ist selbst Flüchtling und packt bei TIAFI an, wo immer er kann: "Manchmal arbeite ich in der Küche, koche oder spüle ab. Manchmal kommen syrische Frauen, um zu nähen. Dann gebe ich ihnen ein paar Tipps, wie sie die Nähmaschine bedienen. Manchmal helfe ich unten beim sauber machen oder streiche. Eigentlich spielt‘s keine Rolle, was ich mache. Ich helfe einfach gerne", sagt er mit einem munteren Lächeln. Einer der wenigen Erwachsenen hier, wo unbeschwert und optimistisch wirken.
Viele wollen weiter
Der Schein trügt. Ahmet ist aus der syrischen Armee desertiert, kann nicht mehr in sein Land zurück. Die Türkei kümmere sich gut um die syrischen Flüchtlinge, lobt er. Auch Firda, die junge Mutter aus Aleppo, erzählt, dass ihre kranke Mutter etwa im Krankenhaus umsonst Insulin bekommt.
Trotzdem will sie weiter nach Deutschland. Da leben ihre beiden Brüder. Viele hier würden es riskieren, mit dem Boot nach Griechenland zu fliehen, wenn sie das Geld hätten. Anne O'Rourke weiß das: "Ich habe gerade ein Video von den Camps auf den griechischen Inseln. Das werden wir den Leuten hier zeigen. Denn ich will, dass sie sehen, dass da nicht das Paradies ist, das sie sich erträumen. Und ich will, dass sie einfach wissen, dass es auf dem Boot gefährlich ist. Viele Leute sind dabei ums Leben gekommen."
Kinder haben Anne O'Rourke eine Schneekugel gebastelt.
Sie greift sich eine Schneekugel von einem Tisch mit Spielzeug und dreht sie um. Kinder haben sie aus einem Marmeladenglas gebastelt. Die Irin lächelt gedankenversunken, während die goldenen Schnipsel im Wasser zu Boden tanzen. "Ich dachte an einem Punkt, es hört auf, Europa würde eine Lösung finden. Aber es gibt wohl im Moment keine Lösung. Jeder versucht nur, Grenzen hochzuziehen. Das ist alles", sagt sie.
Eines der Kinder drückt sich an ihr Bein, sie schenkt ihm ein Lächeln und streicht ihm liebevoll über dem Kopf.