Fragen und Antworten So gefährdet ist das Weltkulturerbe
Wo der "Islamische Staat" auftaucht, hinterlässt er eine Spur der Verwüstung. Auch vor Kulturgütern machen die Islamisten nicht halt. Welche Kulturgüter hat der IS bereits zerstört, welche sind bedroht und wie könnten diese geschützt werden? Eine Übersicht.
Welche Kulturgüter sind zerstört oder bedroht?
Im Irak hat die Terrorgruppe "Islamischer Staat" Hatra zerstört - in der Antike die Hauptstadt eines Kleinfürstentums. Die Ruinen der antiken Stadt zählen zum Weltkulturerbe der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur). Außerdem hat der IS den Palast von Nimrud und die antike Stadt von Ninive zerstört. Die betroffenen Orte sind weiter unter Kontrolle des IS und daher nicht zugänglich. In der Region gibt es viele weitere Kulturgüter, die nicht zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen, aber ebenfalls vom IS zerstört wurden: so die Moschee des Propheten Jona, der Schrein des Propheten Daniel oder die al-Khidr Moschee in Mossul.
Geht der Vormarsch des IS weiter, sind im Irak eine Reihe von Sehenswürdigkeiten und Museen in Gefahr. Dazu gehören laut UNESCO die Stadt Samarra mit dem bekannten Spiralminarett der großen Moschee und das Nationalmuseum in Bagdad mit Fundstücken aus der Kultur Mesopotamiens.
In Syrien hat der "Islamische Staat" die antike Stadt Palmyra mit seinen zahlreichen antiken Städten erobert und dort unter anderem den Tempel von Baalschamin gesprengt und Skulpturen zerstört. Die UNESCO rief dazu auf, alles dafür zu tun, die Kulturschätze zu retten.
Ganz generell ist es in Syrien der UNESCO zufolge nicht klar, in welchem Umfang der IS für zerstörte Kulturgüter verantwortlich ist. Teile der Zerstörung sind auch auf Kämpfe zwischen verschiedenen Konfliktparteien zurückzuführen. So wurden bereits in der Vergangenheit Teile der Stätten in Palmyra sowie historische Monumente in der Altstadt von Aleppo oder Damaskus zerstört.
Warum greift der IS die Kulturgüter an?
Der Grund für die Zerstörungen ist die fundamentalistische Ideologie des IS. "Der IS ist radikal im Kampf gegen Ungläubige und gegen alles, was aus seiner Sicht nicht islamisch ist", sagt Johanna Pink, Professorin am Orientalischen Seminar der Universität Freiburg. Dabei beanspruche der IS die direkte Nachahmung der Zeit des Propheten im 7. Jahrhundert für sich. Zeitlich will der IS also zurückgehen.
Die Zerstörungen der Kulturgüter seien Teil einer Strategie, die Existenz von anderen Kulturen zu verneinen, so die UNESCO. Mit den Zerstörungen wolle der IS die Geschichte und damit das kulturelle Gedächtnis auslöschen. Irina Bokova, Generaldirektorin der UNESCO, bezeichnete dies als "kulturelle Säuberung".
"Indem der IS Kulturgüter von welthistorischem Rang zerstört, bricht er mit allem, was wir kennen", sagt Sönke Neitzel von der London School of Economics. Der IS wolle eine neue Identität schaffen und andere Identitäten zerstören.
Welche Rolle spielt Propaganda bei den Angriffen?
Der IS inszeniert die Taten und veröffentlicht Videos im Internet - beispielsweise von den Zerstörungen in Mossul. Mit dieser Radikalität versucht der IS, Eindruck zu machen und Anhänger zu finden. Markus Hilgert, Direktor des Vorasiatischen Museums im Pergamonmuseum sagt, der IS habe offenbar sehr genau verstanden, dass die beispiellose Respektlosigkeit gegenüber allem, das wir zur Grundlage unserer Narrative über unsere eigene Geschichte und über die zivilisatorische Entwicklung der Menschheit gemacht haben, für uns nur schwer zu verkraften sei.
Reinhard Bernbeck, Professor an der Freien Universität Berlin, sieht aber auch die Medien in einer gewissen Verantwortung. Der IS warte nur darauf, dass sich die Medien zu den Zerstörungen in aufgeregter Weise äußerten, weil die Zerstörung so umso mehr als Provokation wirke. "Die Inszenierungen des IS leben davon, dass sie ihr Pendant im westlichen Mediendiskurs finden", sagt Bernbeck.
Was bedeuten die Zerstörungen für die Menschen vor Ort?
Für die Menschen im Irak und in Syrien ist das vorislamische Kulturerbe identitätsstiftend und einigend. "Wir haben es mit Staaten zu tun, die ihre Hoffnung auf politischen und sozialen Frieden nicht zuletzt auf ein kulturelles Erbe gründen, das eines Tages wieder für die gesamte Menschheit zugänglich sein und eine Brücke zwischen diesen Ländern und der Welt bilden soll. Es gibt kaum etwas, was die Menschen im Irak und Syrien mit uns stärker verbindet als dieses starke Band der gemeinsamen Kulturgeschichte", sagt Experte Hilgert.
Was bedeuten die Zerstörungen für das kulturelle Erbe?
Die Region des heutigen Irak war in der Antike als Mesopotamien bekannt. Es wird als die Wiege der Zivilisation bezeichnet. Die Geschichte dort geht mehr als 10.000 Jahre zurück. Deswegen hat das kulturelle Erbe im Irak eine große Bedeutung für die internationale Gemeinschaft. Die aktuellen Konflikte im Irak und in Syrien haben daher verheerende Auswirkungen auf die kulturelle Vielfalt dieser Länder. "Der IS zielt hier auf unser kulturelles Selbstverständnis, auf alles, worauf sich in der Vergangenheit auch die Vormachtansprüche Europas in der Welt gründeten", so Hilgert.
Generell gilt: "Jede archäologische Stätte ist einmalig. Wird sie zerstört, ist sie unwiederbringlich verloren und mit ihr ein Stück Menschheitsgeschichte, das so nie mehr erzählt werden kann", sagt Hilgert weiter.
Wie können die Kulturstätten geschützt werden?
Die UNESCO hat keine Möglichkeit, die Kulturstätten mit Militär zu schützen, sondern versucht, die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zu koordinieren. Solange die Sicherheitslage kritisch bleibt, ist es kaum möglich, effektive Sicherungsmaßnahmen an archäologischen Stätten einzuleiten. Experte Hilgert regt eine intensivierte Diskussion darüber an, welche archäologischen Grabungsstätten tatsächlich zu touristisch erschlossenen Einrichtungen entwickelt werden und welche nach erfolgter Dokumentation und Erforschung wieder versiegelt werden.
Außerdem schlägt er vor, digitale Repositorien zu schaffen, in denen archäologische Stätten und Funde möglichst detailliert in einer 3D-Digitalisierung abrufbar und zumindest virtuell erlebbar sind. "Technisch ist dies schon heute machbar, es fehlt aber an Strategien, koordinierten Initiativen und Geld", sagt Hilgert.
Wie könnte der IS gestoppt werden?
Für einen erfolgreichen Militäreinsatz bräuchte der Westen eine umfassendere Strategie, sagt Sönke Neitzel, der derzeit in London lehrt und ab Herbst Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam wird. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Situation mittlerweile so zerfahren sei, dass die Folgen einer militärischen Intervention kaum abzusehen sind.