Knesset-Votum gegen Hilfswerk Welche Folgen hat das israelische UNRWA-Verbot?
Ab 2025 darf das UN-Palästinenserhilfswerk nicht mehr in Israel arbeiten. NGOs warnen vor einem Zusammenbruch des humanitären Systems - auch in Gaza. Was hat die Knesset genau beschlossen? Und wie könnte es weitergehen?
Welche konkreten Schritte sind geplant?
Das erste von der Knesset beschlossene Gesetz verbietet es dem UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), jedwede Vertretung auf israelischem Territorium zu betreiben, Dienstleistungen anzubieten sowie jegliche direkten oder indirekten Aktivitäten abzuhalten. Das Palästinenserhilfswerk müsste jegliche Tätigkeit auf israelischem Territorium einstellen. Dies hat auch Auswirkungen auf das arabische Ostjerusalem, das Israel seit 1967 besetzt hält und 1980 sogar annektierte ("Jerusalemgesetz"). Die israelische Besatzung ist völkerrechtswidrig.
Israel will das Land, auf dem die Vertretung steht, beschlagnahmen und darauf 1.440 Wohnungen für Siedler errichten. Die Vertretung ist schon seit einer Weile geschlossen.
Das Gesetz betrifft allgemein Aktivitäten des UNRWA in Ostjerusalem, etwa im Stadtviertel Schoafat, wo die Organisation bisher grundlegende Dienstleistungen übernommen hat - etwa im Bereich der Schulbildung, Gesundheit und Müllabfuhr.
Das zweite Gesetz untersagt israelischen Behörden jeglichen Kontakt mit dem UNRWA oder dessen Repräsentanten. Es sieht vor, dass eine in einem Schreiben vom 14. Juni 1967 ausgesprochene Zustimmung Israels - dass das UNRWA Hilfsleistungen für palästinensische Flüchtlinge anbietet - für ungültig erklärt wird. UNRWA-Mitarbeiter sollen darüber hinaus Privilegien wie Immunität und Steuerbefreiungen verlieren.
Welche Auswirkungen werden für den Gazastreifen befürchtet?
Etwa zwei Millionen Menschen sind in Gaza auf die lebenswichtige Hilfe des UNRWA angewiesen. "Diese Gesetzesentwürfe werden das Leiden der Palästinenser nur noch verschlimmern, insbesondere in Gaza, wo die Menschen seit mehr als einem Jahr durch die Hölle gehen", schrieb UNRWA-Leiter Philippe Lazzarini auf der Plattform X.
Die neuen Gesetze, die binnen von drei Monaten in Kraft treten sollen, beziehen sich zwar auf das israelische Staatsgebiet. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass das UNRWA damit de facto auch seine Aktivitäten im Westjordanland und Gazastreifen kaum fortsetzen kann, weil Israel die Grenzübergänge kontrolliert. Die humanitäre Situation vor allem im Norden des Gazastreifens gilt schon jetzt als katastrophal, Hilfsorganisationen berichten von Hunger und Krankheiten.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als einem Jahr stellt das UNRWA auch Unterkünfte für Hunderttausende Binnenflüchtlinge zur Verfügung. Nach UN-Angaben sind rund 90 Prozent der Bewohner des Gebiets vertrieben worden, viele mehrfach.
Wie genau begründet Israel das Verbot?
In der Begründung des ersten Gesetzes steht: "Da es dem Staat Israel bewiesen wurde, dass UNRWA und seine Mitarbeiter an Terroraktivitäten gegen Israel teilgenommen haben und darin involviert waren, soll festgelegt werden, dass Israel alle Aktivitäten der Organisation innerhalb seines Territoriums stoppt."
Der israelische Außenminister Israel Katz sagte, es sei "ohne jeglichen Zweifel bewiesen worden, dass die UNRWA-Organisation eine aktive Rolle bei den Morden und Entführungen am 7. Oktober (vergangenen Jahres) gespielt hat". "UNRWA ist gleich Hamas", sagte der Abgeordnete Boaz Bismuth von der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, einer der Initiatoren des ersten Gesetzes, nach der Billigung.
Die israelische Regierung hatte etwa im Februar ein Video vom 7. Oktober 2023 veröffentlicht, das einen UNRWA-Sozialarbeiter zeigen soll, der die Leiche eines Israelis in ein Auto trägt, um ihn in den Gazastreifen zu verschleppen.
Ein Prüfbericht unabhängiger Experten kommt allerdings zu einer anderen Einschätzung. Die Experten hatten die israelischen Vorwürfe gegen insgesamt zwölf UNRWA-Mitarbeiter untersucht und waren zu dem Schluss gekommen, das UNRWA habe "robuste" Mechanismen etabliert, um seinen Neutralitätsgrundsatz zu wahren. Israel habe seine Vorwürfe gegen das Hilfswerk nicht ausreichend belegt.
Allerdings gibt es den Experten zufolge Verbesserungsbedarf. So müssten UNRWA Mitarbeiter beispielsweise bereits während des Bewerbungsprozesses stärker mit Blick auf ihre politische Neutralität überprüft werden. Zudem sollten Listen von Mitarbeitern mit den Geberländern - und nicht nur wie bislang üblich mit Israel, dem Libanon, Syrien, Jordanien und der palästinensischen Autonomiebehörde - geteilt werden, sodass Informationen zu möglichen Alarmzeichen geteilt werden können - etwa einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation wie der Hamas.
Wie realistisch sind Israels Erwartungen an eine UNRWA-Alternative?
Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu schrieb auf der Plattform X, es sei unbedingt notwendig, eine humanitäre Krise im Gazastreifen zu verhindern. "In den 90 Tagen, bevor die Gesetzgebung in Kraft tritt, und danach, sind wir bereit, mit unseren internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass Israel humanitäre Hilfe für Zivilisten in Gaza auf eine Art ermöglicht, die Israels Sicherheit nicht gefährdet", so Netanyahu, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen.
Israel werde weiterhin mit UN-Agenturen und internationalen Organisationen zusammenarbeiten, um humanitäre Hilfen zu gewährleisten, sagte Oren Mamorstein, ein Sprecher des israelischen Außenministeriums. Als Beispiele dafür nannte er unter anderem das Welternährungsprogramm, das UN-Kinderhilfswerk UNICEF sowie die Weltgesundheitsorganisation. Israel werde "seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen".
UN-Generalsekretär António Guterres betonte jedoch nach der Knesset-Entscheidung, es gebe keine Alternative für die Arbeit des UNRWA.
Wie könnten etwaige neue Modelle aussehen?
Israelische Medien hatten vergangenen Monat berichtet, Netanyahu habe die Armee angewiesen, sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, die Verteilung humanitärer Hilfsgüter im Gazastreifen zu übernehmen. Aus Armeekreisen hieß es demnach jedoch, dies könne das Leben der Soldaten gefährden.
Nach jüngsten Medienberichten könnte Israel außerdem private Subunternehmer mit der Auslieferung humanitärer Hilfe im Gazastreifen beauftragen. Ziel sei es, dass die militant-islamistische Hamas und andere bewaffnete Gruppen die Güter nicht abgreifen können.
Diskutiert wird auch eine größere Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland. Sie könnte im Gazastreifen die Verwaltung stellen. Von den USA und Deutschland wird das befürwortet, Israel lehnt das bislang ab. Die rechtsreligiöse Regierung von Netanyahu will eine Zweistaatenlösung verhindern und sieht den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas nicht als verlässlichen Partner.
Wie reagieren andere Staaten und Organisationen?
Die Türkei verurteilte das UNRWA-Arbeitsverbot als eindeutig völkerrechtswidrig. UN-Generalsekretär Guterres warnte, die Umsetzung der Gesetze "könnte verheerende Folgen für die palästinensischen Flüchtlinge in den besetzten palästinensischen Gebieten haben, was nicht hinnehmbar ist". Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte vor "verheerenden Folgen".
Auch mit Israel eng befreundete Länder, darunter die USA und Deutschland, kritisierten die Entscheidung. Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zeigte sich sehr besorgt. Die humanitäre Lage der vertriebenen Männer, Frauen und Kinder im Gazastreifen sei bereits desaströs, schrieb Seibert auf der Plattform X.
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF befürchtet, dass durch ein Verbot der Arbeit des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA auf israelischem Gebiet noch mehr Kinder sterben werden. "Wenn das UNRWA nicht einsatzfähig ist, wird es wahrscheinlich einen Zusammenbruch des humanitären Systems im Gazastreifen geben", sagt UNICEF-Sprecher James Elder. "Eine Entscheidung wie diese bedeutet also plötzlich, dass ein neuer Weg gefunden wurde, Kinder zu töten."
Jens Laerke, Sprecher des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), sagte, eine Umsetzung des Verbots, käme einer Art Kollektivstrafe für die Bewohner des Gazastreifens gleich.
Seit wann gibt es das UNRWA?
Die Vereinten Nationen hatten das Hilfswerk im Jahr 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Anspruch auf dessen Dienste haben Palästinenser, die während der Kriege 1948 und 1967 flüchteten oder vertrieben wurden sowie ihre Nachkommen. Mittlerweile sind das nach Angaben der Organisation etwa 5,9 Millionen Menschen - und die Zahl steigt stetig weiter. Das Hilfswerk ist unter anderem auch in Jordanien und im Libanon tätig.
Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa.