EU-Kommission Brüssel steht ein spannender Herbst bevor
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen steht vor großen Herausforderungen: Sie muss ihre Behörde umbauen, weil ihre zwei wichtigsten Stellvertreter die Behörde verlassen. Und sie muss irgendwann erklären, was sie selbst eigentlich vorhat.
Die EU-Kommission unterrichtet die Presse derzeit nicht täglich, sondern nur zweimal die Woche - und hat auch dann nichts zu vermelden. Wie der Rest des Landes sind auch die meisten Kommissionsangestellten im Urlaub, die Präsidentin hat sich auf Kreta entspannt. Auf Ursula von der Leyen warten nach den Ferien große Herausforderungen: Zehn Monate vor der Europawahl bröckelt ihr Team. Ihre zwei wichtigsten Stellvertreter wollen die Kommission verlassen, sie decken zentrale Felder der EU-Politik ab.
Frans Timmermans ist für den Green Deal verantwortlich, der Europas Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger machen soll. Er wechselt aus Brüssel nach Den Haag, um bei den Wahlen im November anzutreten. "Ich will Premierminister werden, und ich denke, dass wir zusammen eine andere Politik machen können als in den vergangenen Jahren", so Timmermans. Ein rot-grünes Bündnis wird in den Niederlanden den Sozialdemokraten in der neuen Woche offiziell zum Spitzenkandidaten ausrufen.
Bereiche Umwelt und Wettbewerb weiter stark besetzen
Die Dänin Margrethe Vestager ist in der Kommission für Wettbewerb zuständig und hat mit wechselndem Erfolg versucht, die großen Internetkonzerne zu zähmen. Sie strebt an die Spitze der Europäischen Investitionsbank. Vom Kommissionssprecher dazu nur soviel: "Bisher haben weder Vizepräsident Timmermans noch Vizepräsidentin Vestager ihren Rücktritt eingereicht. Sie sind noch vollständige Kommissionsmitglieder, deshalb sind alle Fragen dazu Spekulationen."
Wenn es soweit ist, dürfen die Niederlande und Dänemark Ersatzkandidaten präsentieren. Aber es ist an der Kommissionspräsidentin, ihr Kollegium so umzugestalten, dass die entscheidenden Bereiche Umwelt und Wettbewerb weiter stark besetzt sind.
Die Bulgarin Mariya Gabriel hat ihren Posten als Forschungskommissarin schon im Mai aufgegeben, die Finnin Jutta Urpilainen - zuständig für internationale Partnerschaften - ist auf dem Sprung. Für von der Leyen immerhin keine neue Aufgabe: Vor drei Jahren hat sie schnell und geräuschlos ihren Handelskommissar Phil Hogan ersetzt, der wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln in seiner Heimat Irland gehen musste.
"Sie ist keine Teamplayerin"
Stühlerücken in Brüssel ist gerade zum Ende einer Amtszeit nicht unüblich, sagt Professor Desmond Dinan, ein Ire, der an der George Mason School of Public Policy in Arlington lehrt. Nach Ansicht des Europa-Experten hat das nichts mit von der Leyens Führungsstil zu tun: wichtige Entscheidungen lieber im kleinen Kreis enger Berater zu treffen anstatt lange zu diskutieren. "Sie ist keine Teamplayerin, sie ist distanziert und kontrolliert, das ist ihre Natur. Ich bin mir nicht sicher, ob das ihr bewusster Stil ist, aber so scheint sie zu funktionieren, und ich würde sagen, dass es gut funktioniert", sagt Dinan.
Nachfolger für Timmermans und Vestager gesucht
Trotzdem macht es der Abgang der Schwergewichte Timmermans und Vestager nicht leichter, die vielen offenen Gesetzesvorhaben bis zur Europawahl im kommenden Juni abzuschließen. Zuletzt hat das EU-Parlament vor gut einem Monat das Naturschutzgesetz beschlossen, gegen den erbitterten Widerstand der christdemokratischen EVP, von der Leyens Parteienfamilie.
Sie selbst hat sich in dem Streit auffallend zurückgehalten - vielleicht, weil sie die Unterstützung ihrer Fraktion braucht, falls sie für eine zweite Amtszeit antritt. EU-Experte Dinan stellt ihr angesichts von Corona und Ukrainekrieg eine blendende Bilanz aus:
Sie und die Kommission wurden anfangs für das langsame Tempo bei der Impfstoffbeschaffung kritisiert. Aber die Kommission hat diese anfänglichen Schwierigkeiten sehr schnell überwunden und war recht erfolgreich und dafür gebührt von der Leyen meiner Meinung nach viel Anerkennung. Und sie hat sich durch ihre Unterstützung für die Ukraine und ihre Führungsrolle dabei nicht nur in der Kommission, sondern in der gesamten EU ausgezeichnet.
Kandidatin als NATO-Generalsekretärin
Bei der Ukrainehilfe und den Sanktionen gegen Russland stimmt sich von der Leyen eng mit US-Präsident Joe Biden ab. In Washington weiß man inzwischen, unter welcher Nummer Europa erreichbar ist - unter der der Kommissionschefin. Das schürt Gerüchte, dass von der Leyen zwar in Brüssel bleiben könnte - aber nicht als Kommissionspräsidentin, sondern als NATO-Generalsekretärin, wenn Amtsinhaber Jens Stoltenberg im kommenden Jahr dann doch mal geht. Sie selbst hat sich noch nicht erklärt. In Brüssel könnte auf einen ruhigen Sommer ein spannender Herbst folgen.