Neues Buch Gänswein verärgert den Papst
"Nichts als die Wahrheit" verspricht das neue Buch von Georg Gänswein, dem langjährigen Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Es erscheint heute und könnte den konservativen Kritikern von Papst Franziskus Auftrieb geben. Der ist verärgert.
Nein, für ein Interview stehe er nicht zur Verfügung. Per Nachricht von seinem iPhone teilt Georg Gänswein dem ARD-Studio Rom mit, er könne der Bitte um ein Gespräch "leider nicht entsprechen". Schweigen vor dem möglichen Sturm, den das Buch des ehemaligen Privatsekretärs Benedikt XVI. heute bei seiner Veröffentlichung auslösen könnte.
Das 331-Seiten-Werk, das zunächst nur auf Italienisch erscheint, ist vom Verlag als Enthüllungsbuch angekündigt und habe in Rom bereits für Irritationen gesorgt, sagt der Vatikan-Experte des Corriere della Sera, Gian Guido Vecchi: Papst Franziskus sei "sehr verbittert über vieles, was mit dem Erscheinen des Buches zusammenhängt und angesichts der Vorabveröffentlichungen, die es gegeben hat".
Der über das Buch wenig amüsierte Franziskus hat am Montag mit Gänswein im Rahmen einer Privataudienz gesprochen - seitdem schweigt Benedikts langjähriger Begleiter in der Öffentlichkeit.
Benedikt in hellen Glanz gerückt
Umso ausführlicher und detaillierter äußert sich Gänswein in seinem heute erscheinenden Buch. Der Eindruck nach Vorablektüre: In erster Linie soll das Werk mit dem Titel "Nient’altro che la verità" (übersetzt: "Nichts als die Wahrheit") seinen langjährigen, väterlichen Herrn, Benedikt XVI., in großem Glanz erscheinen lassen.
In Teilen aber liest sich Gänsweins Buch auch, als soll der gerade verstorbene Benedikt gegen seinen Nachfolger Franziskus in Stellung gebracht werden. Auch Vecchi sagt: "Die Tatsache, dass man hier, Benedikt XVI. post mortem als Fahnenträger gegen Franziskus nutzen möchte, ist das, was den Papst verärgert und verbittert."
Unter anderem beschreibt Gänswein auf mehreren Seiten, Benedikt sei nicht einverstanden gewesen mit Franziskus‘ Entscheidung, das Zelebrieren der traditionellen Messe auf Latein einzuschränken. Auch dass der aktuelle Papst nicht den direkten Austausch mit seinen konservativen Kritikern gesucht habe, soll Benedikt laut Gänswein irritiert haben.
Ein Schritt an die Spitze der Franziskus-Gegner?
Genau diese konservativen Kritiker dürften sich nun durch das Buch des ehemaligen Benedikt-Privatsekretärs in ihrer Opposition gegen Franziskus bestärkt fühlen. Will sich Erzbischof Gänswein mit seinem Werk an die Spitze dieser Opposition gegen den aktuellen Papst stellen?
Vatikan-Experte Vecchi hat Zweifel: "Ich glaube nicht, dass er zum Ziel hat, die Opposition gegen Franziskus anzuführen." Auch weil davon auszugehen sei, dass dem deutschen Erzbischof nicht viele folgen würden, selbst von den konservativen Kardinälen.
Denn, sagt Vecchi, auch von diesen "seien viele sehr perplex" gewesen "angesichts dieser Operation". Unter anderem gebe es Kritik daran, dass Gänswein in seinem Buch aus privaten Schreiben Benedikts an Franziskus zitiert.
Eine Absetzung mit Nachwirkungen
Benedikts langjähriger Privatsekretär, glaubt Vecchi, könne in seinem Buch unter anderem von persönlicher Verletzung getrieben sein. Die faktische Absetzung als Präfekt des päpstlichen Hauses durch Franziskus 2020 habe den heute 66 Jahre alten Deutschen geschmerzt.
Gänswein schreibt in seinem Buch wörtlich: Er sei "schockiert und sprachlos" gewesen, als ihm Franziskus diese Entscheidung mitgeteilt habe.
Fliehkräfte im Vatikan
Auch wenn Gänswein sich nicht zum neuen Anführer der Franziskus-Gegner aufschwingen will - der Wirbel um das Buch, meint Vecchi, könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was der Tod Benedikts im Vatikan an Fliehkräften freisetzt.
Benedikt, erklärt der Vatikan-Experte, sei "ein Element des Ausgleichs" gewesen. "Angesichts seiner Strenge und seines Kirchensinns hat er nie erlaubt, dass sein Name gegen Franziskus genutzt wird."
Dieses Verhalten habe die extremsten unter den Ratzinger-Anhängern gebremst. Jetzt, da es diese Bremse nicht mehr gebe, schlussfolgert Vecchi, "können sie Ratzinger als Fahnenträger verwenden, ohne dass sich Ratzinger dagegen wehren kann".
Wann das umstrittene Gänswein-Buch auf Deutsch erscheinen wird, ist noch unklar.