Flüchtlinge aus der Ukraine Ankunft bei dichtem Schneefall
Viele Ukrainerinnen und Ukrainer müssen stunden-, manchmal tagelang an den Grenzen warten. In Siret in Rumänien werden sie von Freiwilligen empfangen. Viele wollen weiter nach Westen - und bald wieder nach Hause.
Schokolade, bunte Bonbons, heißen Tee und Sandwichs bieten jugendliche Helfer den verfrorenen Menschen aus der Ukraine als Erstes an, sobald sie den Grenzübergang Siret in Rumänien passiert haben. Es schneit und ein scharfer Wind lässt die minus zwei Grad noch kälter erscheinen.
Die jungen rumänischen Freiwilligen beugen sich zunächst zu den Kindern herunter, die als Erste zulangen dürfen. Olga ist mit ihrem 16-jährigen Sohn gekommen, beide haben schon einen Übergangsplatz in einem der großen blauen Behelfszelte gefunden, die die Feuerwehr hier am Wochenende aufgebaut hat.
Das Nötigste zusammengepackt, fliehen Ukrainer nach Rumänien, hier am Grenzübergang Siret.
"Niemand wird Kiew bombardieren!"
"Es ist ein Desaster", sagt Olga, die für eine schweizerisch-ukrainische Firma in Kiew gearbeitet hat. Ihre Freunde seien noch dort und schrieben ihr über den Messenger Viber "über die Bombardierungen und all das". Sie kämen nicht mehr raus, das sei zu gefährlich. Eigentlich habe sie es ihrer Mutter zu verdanken, dass sie noch vor Kriegsausbruch in ihrer Heimatstadt Ternopil im Westen des Landes gewesen sei.
Am 15. Februar sei sie heimgefahren, weil sie ihre Mutter eindringlich darum bat und Angst vor einem drohenden Krieg gehabt habe. "Ich sagte ihr: 'Das wird nicht geschehen. Kiew? Niemand wird Kiew bombardieren!'" Das sei ein Märchen. Aber ihre Mutter habe nur gesagt: "Ich bitte Dich, komm nach Hause!" Für den 24. Februar abends hatte Olga bereits die Rückfahrkarte zurück nach Kiew gekauft. "Die Bombardierungen begannen am Morgen."
Wohin sie jetzt will? Nach Deutschland, zu ihrer Schwester, die in der Nähe von München lebt. Und "sobald das alles vorbei ist," wolle sie wieder zurück, in die Westukraine, zu ihrer Mutter nach Ternopil.
Türkische Botschaft hilft
Unablässig kommen neue Flüchtlinge mit ihrem spärlichen Gepäck an, ziehen an den beheizten Zelten vorbei und an den Essenständen, die entlang der Straße auf beiden Seiten errichtet worden sind. An diesem Mittwochabend kommen auch zahlreiche ausländische Studenten, aus Ägypten, Turkmenistan, Aserbaidschan, wie sie erzählen. Viele von ihnen hätten in Charkiw studiert: "Wir haben uns in der U-Bahn versteckt und blieben dort drei, vier Tage."
Rund um die Uhr kommen Flüchtlinge in Siret an. Das Bild ist in der vergangenen Woche entstanden.
Mit dem Zug seien sie nach Lwiw gebracht worden und von dort mit Bussen zur Grenze nach Siret. Sie seien evakuiert worden. Die Evakuierung aus dem bombardierten Charkiw habe die türkische Botschaft organisiert, sagt Javid, der aus Baku stammt. Die ganze Zeit sei ein türkischer Botschaftsmitarbeiter dabei gewesen und habe sie bis hierher begleitet. Alles sei sehr gut organisiert gewesen. Auch würde die Türkei für ihren Rückflug bezahlen, vom ostrumänischen Iași nach Istanbul und von dort nach Hause, nach Baku.
Beim Einkaufen beschossen
Der junge Aserbaidschaner Javid wohnte mit seinen Freunden, die auch Jura studierten, in einem Studentenheim mitten in der Innenstadt. Auf ihren Handys zeigen sie, wie sie vom Fenster aus nahe einschlagende Geschosse aufgenommen haben. Sie seien im Zentrum von Charkiw gewesen und auf die Straße gegangen, um etwas einzukaufen. "Es erschienen ein paar russische Soldaten und sagten uns: 'Bleibt stehen!' Wir wollten aber nicht stehen bleiben, sondern sind weggelaufen." Dann hätten die Soldaten auf sie geschossen.
120.000 Menschen sind bereits aus der Ukraine nach Rumänien gekommen, über die Hälfte von ihnen hat das Land wieder verlassen. Viele reisen zu Verwandten und Freunden im westlichen Ausland weiter. Die offiziellen Flüchtlingsunterkünfte entlang der Grenze werden meist nur für einige Tage belegt.
Nach Angaben der Vereinten Nationen haben bislang mehr als 50.000 Menschen Zuflucht in Rumänien gesucht.
"Es lebe die Ukraine!"
In einem roten Behelfszelt, das von einem spärlichen Heizstrahler gewärmt wird, sitzt stumm eine Mutter, neben sich zwei Söhne, die vielleicht sechs und 13 Jahre alt sind. Die Großmutter steht lieber, denn gleich würden sie von einem Bekannten abgeholt werden. Ihr Mann, sagt die Frau, habe sie bis an die Grenze mit dem Auto gebracht, und sei dann umgekehrt. "Er ist in den Krieg gezogen."
Jetzt warten sie auf diesen Bekannten. Der kommt auch, das Auto ist da. Großmutter, Mutter und die beiden Jungs nehmen ihr Gepäck, verlassen das Zelt. Draußen dreht sich die Großmutter noch einmal um und sagt mit belegter Stimme: "Es lebe die Ukraine!"