Zivilisten in der Ostukraine "Wir leben nicht - wir leiden"
Im Lagerraum versteckt, kaum noch etwas zu essen: Während die Russen in der Ostukraine ohne große Erfolge immer wieder angreifen, leidet vor allem die Zivilbevölkerung - wie das hochbetagte Ehepaar Poljakow.
Normalerweise ist Sydorowe in der Region Donezk ein verschlafenes Dörfchen mit einigen hundert Einwohnern, umgeben von Feldern, gelegen an den Ufern des Siwerskyj Donez. Aber heute liegt der Ort mitten im Kampfgebiet in der Ostukraine.
Oleksiy Poljakow, ein freundlicher Biologielehrer im Ruhestand mit dicker Brille und gelber Schiebermütze, steht vor seinem Lagerraum und lauscht den Detonationen in der Ferne. Der Lagerraum sei eigentlich "Plan B" gewesen. "Aber jetzt gibt es so viele Explosionen, dass wir hier mehr Zeit verbringen als zu Hause. Wir essen im Haus und laufen dann zurück", sagt Poljakow.
"Wir leben nicht - wir leiden"
Er steigt die wenigen Stufen hinunter in den Raum zu seiner Frau. Mit Decken und Kissen haben sie sich ein Lager eingerichtet. Auf einem Metallregal stehen einige Einmachgläser. Ein paar Gurken, Zwiebeln, Knoblauch und einen halben Laib Brot - das ist alles, was die beiden über 80-Jährigen noch zu essen haben.
"Wir haben noch Strom, das heißt, wir haben auch Wasser um auf dem Holzofen zu kochen", sagt Galina Poljakowa. "Aber ich habe Angst, überall wird geschossen. Wir leben nicht - wir leiden. Und wir warten auf die Gegenoffensive."
Diese hat die ukrainische Armee offenbar vor einigen Tagen bei Charkiw gestartet und die Russen erfolgreich zurückgedrängt. Sogar bis zur russischen Grenze sollen ukrainische Soldaten vorgedrungen sein. Aber da, wo die Poljakows leben, leisten sich russische und ukrainische Truppen erbitterte Gefechte.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Präsidentenberater geht von langem Stellungskrieg aus
Die Kämpfe seien sehr kostspielig, was die Ressourcen angehe, erläutert Präsidentenberater Mychailo Podolyak die Lage in der Ostukraine. Die Russen versuchten immer wieder, die ukrainische Verteidigung zu testen, "ein paar Kilometer unseres Territoriums einzunehmen, bis sie auf Widerstand stoßen, große Verluste erleiden und mit Gegenangriffen rechnen müssen". Dieser Stellungskrieg werde "eine Weile" dauern.
Zu keinem Zeitpunkt seit Beginn der Donbass-Offensive rückten russische Truppen schnell vor. Es war eher ein Kampf Dorf für Dorf. Und mit der Zeit wurde eines immer deutlicher: Russland erreicht seine militärischen Ziele auch hier nicht. Aber das sind noch lange keine guten Nachrichten - vor allem nicht für Zivilisten.
40.000 Menschen in der Region Luhansk
Zwar hat ein Großteil der Bevölkerung die Region verlassen, aber noch immer leben allein in den umkämpften Gebieten der Region Luhansk etwa 40.000 Menschen. "Wir haben jeden Tag weniger und weniger Chancen die Menschen in Sicherheit zu bringen", sagt Gouverneur Serhij Hajdaj im Interview mit der ARD.
Sjewjerodonezk steht unter ständigem Beschuss, es ist jetzt unmöglich dahin zu fahren. Sicherheit gab es schon lange nicht mehr, es war eine Lotterie, ob die Fahrer überhaupt kommen. Deshalb appelliere ich jetzt: Es ist besser, nicht zu evakuieren, sondern im Schutzraum zu bleiben, um sein Leben zu retten.
Laut UN Angaben wurden bisher offiziell mehr als 3000 Zivilisten in der Ukraine getötet. Die Ukraine geht aber davon aus, dass die Zahlen weit höher liegen.